: berliner szenen Die lieben Nachbarn
Spatzen verklagen
Der Frühling ist ausgebrochen. Die Spatzen kopulieren in der Dachrinne. Ich hab meine Pflanzen auf den Balkon gestellt und der Nachbar zur Linken seine Bassboxen ins Fenster. Alle haben ihren Spaß. Nur Frau Lebenliebenundlachen macht wieder Ärger. Der Schriftzug auf ihrem Klingelschild ist nach wie vor völlig irreführend. Ich habe nie bemerkt, dass sie eine der Tätigkeiten aktiv ausübt.
Jetzt steht sie vor der Haustür. „Sie haben wieder die Blumen gegossen“, sagt sie vorwurfsvoll. Ich bin verblüfft. Da hat sie recht. Ich wollte es auch lange nicht wahrhaben, aber es ist so. Jahrelange Feldstudien ergaben keine Alternative. Blumen wollen gegossen werden, da hilft kein gutes Zureden. Frau Lebenliebenundlachen ist erbost: „Wenn ich meine Wäsche das nächste Mal noch mal waschen kann, bring ich sie zu Ihnen hoch!“, sagt sie. Siehste, denke ich, Pankow ist gar nicht so spießig, Frau Lebenliebenundlachen hängt sogar ihre Wäsche auf den Balkon, obwohl das verboten ist, steht im Mietvertrag. Die Mitteilung lässt ihre Laune ins Bodenlose sinken. Dabei hatte sie doch gehofft, endlich einen Anlass gefunden zu haben, mich bei der Hausverwaltung anzuschwärzen. Ich versuche zu trösten: „Machen Sie sich nichts draus“, sage ich, „bei mir oben kacken die Spatzen aus der Regenrinne auf den Frühstückstisch. Ich versuche schon seit Jahren, die rauszuklagen.“
Frau Lebenliebenundlachen guckt etwas unintelligent, als ich fortfahre: „Und stellen Sie sich das vor, ich hab nachgefragt, die Regenrinne gilt gar nicht als vermietet!“ Ich seufze schwer: „Da werd ich mich wohl mit ihnen arrangieren müssen.“ Frau Lebenliebenundlachen ist die Kinnlade runtergefallen. Ich glaub, ich werd nachher erst mal ausgiebig umtopfen. LEA STREISAND