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Archiv-Artikel

Ein Ausschluss für Union und Vaterland

CDU-Chefin Merkel bleibt auch nach der Bitte Hohmanns um „Verzeihung“ hart. Gegenstimmen sind einkalkuliert

Hohmann: „Auch meine Frau und meine Kinder leiden unter den Vorwürfen“

BERLIN taz ■ Wenn alles läuft wie geplant, kann Angela Merkel heute früh um 9 Uhr die Affäre Hohmann für beendet erklären – jedenfalls aus Sicht der Unionsfraktion im Bundestag. Sollte der umstrittene Abgeordnete nicht doch noch seinen freiwilligen Austritt erklären (womit keiner rechnete), wird bereits im Morgengrauen über seinen Ausschluss aus der Fraktion abgestimmt. Die notwendige Zweidrittelmehrheit sei „sicher“, hieß es aus Merkels Umgebung. Daran werde auch die Bitte Hohmanns um „Verzeihung“ wenig ändern, die der Hesse seinen Noch-Fraktionskollegen per E-Mail-Rundbrief zukommen ließ.

„Es gibt keine neue Lage“, erklärte Fraktionsvize Wolfgang Bosbach. Hohmann habe dieselbe Erklärung bereits in der Fraktionssitzung am Dienstag mündlich vorgetragen – ohne Erfolg. Die verlangte klare Distanzierung vom Inhalt seiner antisemitisch gefärbten Rede zum Tag der Deutschen Einheit blieb er aus Sicht der Führung schuldig.

Merkel warb in einem Brief an alle CDU-Funktionäre noch einmal um Verständnis. „Nur wer eine klare Trennlinie zu extremen Positionen zieht, der kann, ohne falschen Verdächtigungen ausgesetzt zu sein, sich zu Patriotismus und Vaterland bekennen.“ Sie wolle, dass die CDU auch in Zukunft „unbefangen und offenen Herzens gerade auch für unsere konservativen Ziele eintreten“ könne. Zu dem Ausschluss Hohmanns aus Fraktion und Partei gebe es deshalb „keine verantwortbare Alternative“.

Trotz dieser klaren Vorgabe der Chefin ist nicht auszuschließen, dass sich einige Abgeordnete von Hohmanns schriftlichem Gnadengesuch beeindrucken lassen. „Ich möchte alles tun“, schrieb der 55-Jährige in der E-Mail an die Kollegen, „damit die von mir hervorgerufenen Verletzungen geheilt werden, und bitte nochmals um Verzeihung.“ Es sei nie sein Anliegen gewesen, Juden in ihren Gefühlen zu verletzen. „Auch meine Frau und meine Kinder leiden unter dem gegen mich erhobenen Vorwurf des Antisemitismus.“

Angesichts dieser rührenden Worte und dem möglichen Mitleidseffekt bei Hohmanns Freunden baute die Fraktionsführung gestern schon einmal vor. Es sei nicht auszuschließen, hieß es, dass ein paar Abgeordnete, die sich mit der Entscheidung schwer tun, schlicht zu Hause bleiben. Man könne niemanden zum Erscheinen zwingen. Notfalls werde Merkel aber auch ein paar Gegenstimmen verkraften, wurde gestreut. Als Schmerzgrenze wurde angegeben, die Zahl der Abweichler sollte „nicht zweistellig“ ausfallen. Nach ein paar Tagen sei das Theater dann vergessen – und Merkel aus dem Gröbsten raus. Statt über Antisemitismus in den eigenen Reihen zu sprechen, kann sie wieder mit der Regierung über Reformen verhandeln.

So weit die optimistische Sicht der CDU-Spitze. Aus rechten Kreisen der Fraktion hieß es dagegen drohend, dass „die Stimmung kippen könnte“. Es gebe „eine ganze Reihe von Abgeordneten, die wegen des Prozederes starke Bauchschmerzen haben“. Es herrsche eine „große Unzufriedenheit“ über das Vorgehen der Führung.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete und frühere DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld ging davon aus, dass mögliche Gegner des Ausschlusses vor allem ihren Unmut über die Fraktionschefin ausdrücken wollen. „Wenn es Gegenstimmen geben sollte, dann handelt es sich vermutlich um Heckenschützen, die Angela Merkel schaden wollen.“ Zu den Aussagen Hohmanns sagte Lengsfeld der taz: „Darüber, ob die Rede von Herrn Hohmann antisemitisch ist, muss sich jeder selber seine Meinung bilden.“

LUKAS WALLRAFF,

ANDREAS SPANNBAUER