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Archiv-Artikel

Gleichstellung statt Fürsorge

Nach fünf Monaten im Amt zieht die NRW-Behindertenbeauftragte eine erste positive Bilanz: „Es tut sich etwas“. Behindertenvertretern gehen die gesetzlichen Regelungen aber nicht weit genug

AUS DÜSSELDORFNATALIE WIESMANN

Die Landesbehindertenbeauftragte zeigt sich über die ersten 150 Tage ihrer Tätigkeit sehr zufrieden: „Mein Amt wird in der Bevölkerung gut angenommen“, sagt die ehemalige Bundestagsabgeordnete Regina Schmidt-Zadel (SPD). Die Menschen machten von der neuen Institution regen Gebrauch, sie habe alle Hände voll zu tun.

Das wundert nicht. Denn trotz existierender Gleichstellungsgesetze auf Bundes- und Landesebene liegt die gleichberechtigte Teilhabe von behinderten Menschen in Nordrhein-Westfalen im Argen. Nur 50 Kommunen und Kreise habe eine kommunale Gleichstellungsbeauftragte für Behinderte eingestellt. Die Städte und Gemeinden richten nur sehr zögerlich barrierefreie Internetseiten ein, bei den Wahlen gelangen gehbehinderte Menschen und Rollstuhlfahrer selbstständig nur in jedes zweite Wahllokal. „Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, dass ein paar freundliche Wahlhelfer den Rollstuhl ins Wahllokal hieven“, macht Schmidt-Zadel deutlich.

Mehr Druck will sie auch auf den öffentlichen Personennahverkehr ausüben. Die Bahnhöfe in Nordrhein-Westfalen besäßen teilweise keinen Aufzug zu den Gleisen, auch die Bahnsteige seien vielerorts zu hoch für Rollstuhlfahrer, die nicht auf fremde Hilfe angewiesen sein wollen. Eine Errungenschaft gibt es für blinde Nutzer von öffentlichen Verkehrsmitteln: Die S-Bahnen in NRW sagen vor jeder Station an, ob sich der Ausstieg links oder rechts befindet. In Düsseldorf will die Rheinbahn AG nur noch Niederflurbusse einsetzen.

Schmidt-Zadels Amt ist im Landesgleichstellungsgesetz vom 1.1.2004 festgeschrieben. Ihre wichtigste Funktion ist die der Wächterin über das Gesetz. Dieses manifestiere eine Wende weg von der Fürsorge hin zur gleichberechtigten Teilnahme am öffentlichen Leben. Sie selbst habe als ehemalige gesundheitspolitische Sprecherin und Behindertenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion lange für diesen Paradigmenwechsel gekämpft. „Die Umsetzung geht nicht von heute auf morgen, aber es bewegt sich was“, sagt Schmidt-Zadel optimistisch.

Bianka Becker vom Behindertenrat NRW geht die Gesetzgebung von Bund und Land in Sachen Selbstbestimmung nicht weit genug: „Wir wollen, dass Behinderte ihre Betreuungskräfte selbst aussuchen können“, sagt sie. Auch die integrative Beschulung von behinderten Kindern sei ein Feld, in dem sich noch Einiges tun müsse, kritisiert Daniel Kreutz vom NRW-Sozialverband. „Der Bereich Bildung ist völlig aus dem Gleichstellungsgesetz ausgeklammert worden“, so Kreutz. Außerdem seien die im Gesetz vorgesehenen Zielvereinbarungen zwischen Kommunen und Behindertenverbänden zu unkonkret. Er kritisiert, dass die engagierte Landesbehindertenbeauftragte nur beraten darf und kein Vetorecht hat. „Frau Schmidt-Zadel hat ein riesiges Aufgabenfeld, aber so gut wie keine Instrumente, um einzugreifen“, sagte er bei ihrem Amtsantritt zur taz.

Doch Schmidt-Zadel findet ihr Amt „sehr schön“. Damit das so bleibt, will sie sich in Zukunft nicht nur den Problemen Behinderter widmen, sondern positive Projekte starten. Demnächst will sie einen landesweiten Aktionstag der behinderten Menschen organisieren und einen NRW-Reiseführer für Menschen mit Handicap herausbringen. „Ich möchte zeigen, wie attraktiv unser Bundesland auch für Menschen mit Behinderung ist“. Mittelfristig will sie einen Wettbewerb ausschreiben, in der Kreise und Kommunen um die behindertenfreundlichste Politik im Land buhlen sollen. Ob sie selbst in ihrer Funktion den Sieger des Wettbewerbs noch küren wird, ist fraglich. Denn im Mai kommenden Jahres, wenn in NRW Landtagswahlen anstehen, läuft auch Schmidt-Zadels Amtszeit aus. Ob sie unter einer CDU-geführten Landesregierung weiter machen würde, soll deshalb nicht beantwortet werden. „Ich gehe davon aus, dass Rot-Grün an der Macht bleibt.“ An Rot-Grün in Berlin richtet Schmidt-Zadel die Forderung, endlich die Antidiskriminierungsrichtlinie der EU in einem Gesetz umzusetzen. „Wir brauchen das Gesetz, damit sich auch im privaten Sektor für Behinderte etwas tut.“