: Wer anders ist, stört
Die Osnabrücker Wagenburg muss weichen, weil die Ratsmehrheit von CDU und FDP es will: Gründe braucht sie dafür nicht
aus Osnabrück Jan Zier (Text) und Joanna Kosowska (Fotos)
Übermorgen müssen sie raus. Endgültig. Die rund 15 BewohnerInnen der Osnabrücker Wagenburg werden nicht länger geduldet. Dass der Räumungsbescheid rechtens sei, hat Ende September das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg entschieden. Als Stichtag hat es den 31. Oktober festgesetzt – Monatsende. „Wir werden nicht freiwillig gehen“, kündigen die Wagenburgler an.
Seit Juli 2002 leben sie hier am Fürstenauer Weg. Nördlicher Stadtrand, keine besonders heimelige Gegend: Dass die Kläranlage in unmittelbarer Nähe ist, riecht man deutlich, das Rauschen von der A1 hört auch in der Nacht nicht auf. Und beim Verlassen der Wohnwagensiedlung blickt man direkt auf den Rohbau einer riesigen Müllverwertungsanlage. Schöner Wohnen im Grünen sieht anders aus.
Entstanden ist hier billiger Wohnraum – eine Art große WG inklusive Volksküche, verteilt auf lauter kleine Ein-Zimmer-Appartements, das Ganze natürlich selbst verwaltet.
Die Hälfte der BewohnerInnen studiert oder ist arbeitslos. „Lohnarbeitslos“, wie Kalle betont. „Zu tun gibt es hier immer was.“ Schließlich gehe es nicht nur um ein Wohnprojekt, sondern auch um das „autonome Zentrum“, das immer noch nach einer festen Bleibe sucht. Momentan hat es in einem alten Zirkuszelt Quartier bezogen. Die Anlage auf der Bühne wird abgebaut: Gestern hat hier das 50. Konzert stattgefunden, jede Woche läuft irgendeine Veranstaltung. Rund 100 Leute kommen regelmäßig, das Projekt trägt sich selbst.
Einst hat die Stadtverwaltung den Wagenburglern selbst die Wiese hier am Fürstenauer Weg beschafft, „übergangsweise“, wie es damals hieß. Nach zweieinhalb Jahren soll jetzt Schluss sein. Das hat die Ratsmehrheit aus CDU und FDP entschieden. Und vor Gericht auch durchgesetzt. Offiziell ist das Gelände nämlich Gewerbegebiet. Wohnbebauung ist hier nicht erlaubt. Irgendwann soll hier einmal ein Güterverkehrszentrum entstehen. Das war zumindest Anfang des Jahrtausends der Plan. Konkreter ist der seither nicht geworden.
Arbeitskittel, Stiefel, graue Haare unter einem grün-braunen Hut: Bauer Bernhard ist der einzige Nachbar weit und breit. Der Futtereimer scheppert, als er abgestellt wird. Klar, auf einem Pferdehof ist immer was zu tun. Aber für einen kurzen Schnack reicht die Zeit dann doch. Nein, stören würden ihn die ungewöhnlichen Nachbarn nicht, sagt der Bauer. Gelegentlich versorgt er die Bauwagler mit Wasser. Und „mit dem einen oder anderen kann man sogar sprechen“.
Fremd sind sie ihm trotzdem geblieben. Und für die Räumung hat er auch volles Verständnis: Dass man in einer Wagenburg lebe, gehe natürlich nicht an. „Wo kämen wir da hin, wenn das jeder machen würde?“ Und was der Magistrat beschließt, geschieht ja nie ganz ohne Grund.
Die Stadt müsste das Gelände keineswegs räumen lassen. Auch das Lüneburger Gericht hat das betont. Doch Bürgermeister Burkhard Jasper (CDU) zeigt sich unnachgiebig. „Die Verwaltung muss jetzt den demokratisch gefassten Ratsbeschluss umsetzen“, sagt er. Recht und Ordnung müssten gewahrt bleiben. Man habe aber „nichts dagegen, wenn die Gruppe ein privates Gelände findet“. Städtische Grundstücke allerdings schließt er von vornherein aus. Die Suche läuft bereits. „Wir haben schon Anzeigen in die Zeitung gesetzt“, erzählt einer der Bewohner. Bisher ohne Erfolg.
Nein, keine Namen. „Es geht ja um die Sache, nicht um Personen“. Gewaltsamer Protest käme für die Osnabrücker Wagenburgler aber nicht in Frage. Ebenso wenig wie das Leben in einer „Mietskaserne“. „Wir wollen einfach nur friedlich im Bauwagen leben“, sagt einer. Ohne den selbstverständlichen Luxus städtischer Zivilisation. „In der Natur.“ Den Wald vor der Haustür, die Pferde nebenan, zehn Hühner, die auch im Bauwagen leben und etliche Katzen. Aber eben weder Leitungswasser noch Strom aus der Steckdose. „Da muss man sich auch für die einfachsten Dinge des Lebens immer etwas einfallen lassen. Das regt die Phantasie an.“
Die BewohnerInnen haben sich auf die Räumung vorbereitet. Die Einrichtung der Bauwagen: aufs Allernötigste beschränkt. Ein Bett unter dem zugigen Fenster, ein alter Sessel, ein IKEA-Regal. Und eine Autobatterie, man braucht ja auch Strom. Mehr aber auch nicht.
„Am Anfang haben wir alles geteilt und hockten ständig zusammen“, erzählen die Wagenburgler der ersten Stunde. Zum Beispiel am Lagerfeuer. In der Mitte des Platzes steht noch immer ein alter Schaukelstuhl, daneben ein rostiges Ölfass. Inzwischen lebt hier aber jeder sein eigenes Bauwagenleben.
Trotzdem versteht man sich weiterhin „als Gemeinschaft, in der jeder für jeden geradesteht“. Ob sie noch Hoffnung haben, hier bleiben zu können? „Nein“, antwortet eine. Obwohl es ihr schwer falle zu denken, dass es jetzt endgültig vorbei sei. „Doch“, sagt ein anderer. Man habe ja auch Sympathisanten, „nicht bloß die üblichen Verdächtigen, sondern auch in den Reihen von SPD und Grünen“. Und: „Bisher ist es ja auch immer irgendwie weitergegangen.“