: „Gebt mir Flachland“
In der Vertretung des Landes Niedersachsen wurde eine neue Arno-Schmidt-Ausstellung eröffnet. Jan Philipp Reemtsma las sich in Rage und Wolfgang Schäuble hielt ein Nickerchen
VON JAN SÜSELBECK
„Wir mussten ja damals alle Arno Schmidts ,Zettel’s Traum‘ lesen“, versucht Jürgen Trittin der taz weiszumachen, während er sich am Festbuffet eine Suppe holt. „Ja doch, das war in Schmidts Todesjahr, 1981 in Göttingen, da habe ich mir die Ausgabe bei Zweitausendeins gekauft.“
Zwar starb Arno Schmidt, dem zu Ehren am selben Abend die Ausstellung „Bargfeld in Berlin // Arno Schmidt“ in der Vertretung des Landes Niedersachsen eröffnet wird, 1979, und eine Ausgabe seines berüchtigten Riesenbuchs „Zettel’s Traum“ im Verlag Zweitausendeins hat es nie gegeben. Doch Trittins bloße Anwesenheit genügt, um anzudeuten, dass Schmidt unter der Berliner Politprominenz mittlerweile offenbar geradezu staatstragende Repräsentationstauglichkeit zuerkannt wird.
Sekunden bevor Stefan Kapferer, der Leiter der Landesvertretung, die ersten Worte ans Publikum richten kann, um insbesondere den prominenten Schmidt-Fan Walter Kempowski zu begüßen, wird auch noch Wolfgang Schäuble in seinem Rollstuhl in den Saal geschoben. Leise tuschelt sein Bodyguard noch einige Kommandos ins Mini-Mikro, während vorne bereits der Redner anhebt: „Das Land Niedersachsen, meine Damen und Herren, hatte natürlich schon immer eine besonders intensive Beziehung zu Arno Schmidt.“
„Das war, wenn überhaupt, wohl eher umgekehrt“, wird später bei einem ersten Bier am Buffet gespottet. Tatsächlich, Vereinnahmung allerorten: Auch Bernd Rauschenbach von der Arno Schmidt Stiftung macht sich in diesem Sinne in seiner offiziellen Einführungsrede über Gerhard Schröder lustig, der „neuerdings öfters Schmidt zitiert, um seine Heimat aufzuwerten, allerdings offenbar ohne den durchaus zwiespältigen Charakter des verwendeten Bonmots erkannt zu haben: ,Und was heißt schon New York? Großstadt ist Großstadt; ich war oft genug in Hannover‘ .“ Vor einem bis auf den letzten Platz gefüllten Saal rekapituliert Bernd Rauschenbach Arno Schmidts Hassliebe für die öden Heidelandschaften Niedersachsens, für die Umgebung Bargfelds, jenes winzigen Dorfes bei Celle, in dem Schmidt von 1958 bis zu seinem Tod hauste.
Unwillkürlich muss man daran denken, wie der erklärte Gebirgshasser einmal voller Emphase forderte: „Gebt mir Flachland, mit weiten Horizonten […]; Kiefernwälder, süß und eintönig, Wacholder und Erica; und an der Seite muß der weiche staubige Sommerweg hinlaufen, damit man weiß, daß man in Norddeutschland ist.“
Und was zeigt eigentlich die Ausstellung? Zum Beispiel Arbeitsutensilien: Arno Schmidts Schreibmaschine, ein Exemplar seiner Zettelkästen, die Lupe – „kurz: das ‚Schreibzeug‘, mit dem Arno Schmidt zeitlebens arbeitete“, wie die Einladung ganz richtig verkündet. In der weiten Empfangshalle des gläsernen Regierungsgebäudes kann man außerdem Projektionen von Schmidts selbst geschossenen Landschaftsdias sehen – und zwar auch solche, die noch nicht in dem von Janos Frecot herausgegebenen Bildband „Vier mal vier. Fotografien aus Bargfeld“, der im letzten Jahr erschienen ist, veröffentlicht sind.
Spannender als die Ausstellung ist da – und das war auch zu erwarten – eindeutig der Höhepunkt des Festakts: Jan Philipp Reemtsmas Lesung aus Schmidts Roman „Kaff auch Mare Crisium“ aus dem Jahr 1960. Erst vor Kurzem ist bei Hoffmann und Campe eine Box mit zehn CDs erschienen, auf denen Reemtsma den gesamten Text des Romanes so professionell und engagiert vorträgt, als sei er ein gelernter Stimmenimitator.
Alle lauschen gebannt Reemtsmas Vortrag. Nur Schäuble kämpft bereits nach wenigen Minuten mit dem Schlaf. Sehr nachdrücklich trägt Reemtsma verschiedene Passagen aus dem ersten zweispaltig geschriebenen Buch Schmidts vor, in dem der Erzähler seiner Freundin eine Science-Fiction-Story von zwei menschlichen Mondkolonien erfindet. Dabei geht es auch knüppelhart um Politik. Nach dem atomaren Overkill schwelt in dem Gedankenspiel der Kalte Krieg zwischen der lunaren Sowjetenklave und dem Reservat der überlebenden US-Amerikaner weiter.
In einem fingierten US-Nationalepos wird gleichzeitig das Nibelungenlied verballhornt und die staatliche Instrumentalisierung von Literatur verhöhnt. Reemtsma ermahnt das Publikum in einer eingeschobenen Erläuterung, bei der Lektüre des Romans immer mitzubedenken, dass bei seinem Erscheinen „1945 genauso lange zurücklag wie für uns heute 1989“.
Seine augenzwinkernde Auswahl der Text-Passagen kann durchaus auch als Provokation aufgefasst werden. „Ich finde es mutig, dass die niedersächsische Landesvertretung sich das überhaupt traut“, sagt Trittin hinterher noch – und schlurft dann zurück an seinen Tisch: Suppe essen.
Bargfeld in Berlin // Arno Schmidt. Bis zum 7.11., täglich von 10 bis 18 Uhr, Vertretung des Landes Niedersachsen, In den Ministergärten 10, Tiergarten