Arbeiter für die Kulturentwicklung

betr.: „Künstler auf eigene Gefahr“, taz vom 22. 10. 04

In Ihrem Artikel wird der Eindruck erweckt, dass die Künstlersozialkasse (KSK) nach Hartz IV der Rettungsanker für Künstler, die an der Armutsgrenze leben, ist. Wie Sie selbst schreiben, sind im Laufe der Jahre andere Berufsgruppen (gerne?) in die Künstlersozialkasse aufgenommen worden. Der ursprüngliche Gedanke bei der Gründung der KSK ist damit zunehmend in Vergessenheit geraten, dass ausschließlich Künstler mit geringem Einkommen gegen Krankheit und im Alter abgesichert sind.

Nach Aussagen der KSK verdient ein Künstler 11.000 Euro im Jahr, das bedeutet Reingewinn! Bei diesem Einkommen sind alle Auslagen, Miete des Ateliers, Materialien usw., abgezogen. Da bräucht’s ja keine Unterstützung mehr und der Künstler könnte nicht reich, aber in bescheidenen Verhältnissen seinem Beruf nachgehen. Interessant wird’s aber, wenn der Künstler wenig oder nichts verkauft, denn die Untergrenze der KSK liegt bei 3.900 Euro Reingewinn. Erreicht er dies nicht, und wer verkauft schon auf dem heutigen Kunstmarkt seine Bilder massenhaft, so wird der Künstler nach einer Schonfrist von drei Jahren aus der KSK entfernt. Schummeln in der Voraussage der Einkünfte geht auch nicht, denn irgendwann muss der Steuerbescheid vorgelegt werden.

Gerade die verarmten Künstler, die die staatliche Förderung bitter nötig hätten, werden nicht mehr durch die KSK unterstützt. Die Konsequenz daraus ist, dass sie sich selbst versichern müssen, wobei die Tarife der Krankenkassen bei ca. 250 Euro liegen, schließlich zahlt man ja zu 100 Prozent! Eine Zahlung in die Rentenversicherung ist finanziell nicht mehr drin! Da hilft auch kein Gang zum Sozialamt, denn Sozialhilfe gibt es nur, wenn der Künstler sich arbeitslos meldet. Arbeitslos melden kann er sich aber nicht, weil das Arbeitsamt die Meldung „Künstler, arbeitslos“ nicht annimmt. Will man keinen Sozialbetrug begehen oder illegale Schwarzarbeit annehmen, bleibt oft nur noch der Weg über den 3. Abschnitt des Sozialhilfegesetzes, die Hilfe in besonderen Lebenslagen, um vorübergehend, aber nur vorübergehend, eine geringe Unterstützung bzw. ein Darlehen zu bekommen.

Nicht zu Unrecht fordern deshalb der Bundesverband Bildender Künstler (BBK) und ver.di seit Jahren ein Ausstellungshonorar für Künstler. Dies wird von den Politikern wohl begrüßt, jedoch nicht gesetzlich festgeschrieben.

Im Übrigen: Den Beruf des Künstlers zu ergreifen war schon immer ein Leben am Rande der Gesellschaft mit hohem Armutsrisiko. Das ist nichts Neues, auch nicht mit Hartz IV. Neu ist mir aber, dass der freischaffende Künstler nach Ihrer Darstellung keinen ordentlichen Beruf ausübt, sondern romantisiert seinen individuellen „Traum vom künstlerisch-kreativen Dasein“ lebt und irgendwelchen privaten Selbstverwirklichungswünschen nachgeht. Vielmehr sind freischaffende Künstler Arbeiter für die Kulturentwicklung, sie beleben unsere Welt und „leisten“ es sich, die Dinge voranzutreiben.

DOROTHEE WIDMANN, Rielasingen