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Archiv-Artikel

„Die Kultur der Stadt in Frage stellen“

Der Berliner Architekt Philipp Oswalt leitet seit zwei Jahren das Projekt „Schrumpfende Städte“. In Halle-Leipzig, Detroit, Manchester und Iwanowo gehen er und seine Forscher der Frage nach, warum schrumpfende Städte eine andere Kultur hervorbringen als Boomtowns und wie sie sich nutzen lässt

Interview von UWE RADA

taz: Herr Oswalt, Sie arbeiten über schrumpfenden Städte, leben und arbeiten aber in Schöneberg. Ist das ein Vor- oder ein Nachteil?

Philipp Oswalt: Es ist ein Blick von außen. Ich kenne das Thema Schrumpfung nicht aus dem Alltagsleben. Die Mitarbeiter aber sind vor Ort und kennen diesen Alltag ganz hervorragend. Also den Alltag in Halle-Leipzig, Detroit, Manchester-Liverpoool und Iwanowo in Russland, jenen Städten, die wir schwerpunktmäßig untersuchen.

Das Projekt „schrumpfende Städte“, das Sie leiten, ist, man kann es nicht anders sagen, ein Mammutprojekt. 3,3 Millionen Euro gibt die Bundeskulturstiftung aus, damit Sie und Ihre Teams bis 2005 herausfinden, was es mit den schrumpfenden Städten auf sich hat. Warum dieser ganze Aufwand?

Wir sind nicht die Einzigen, die zu diesem Thema arbeiten. Gleichwohl wurde die Diskussion bislang sehr eng geführt. Das gilt auch für die Maßnahmen, die ergriffen wurden. Nehmen Sie das Bundesprogramm „Stadtumbau Ost“. Hier wird das Problem der Schrumpfung auf einen Abbau des Wohnungsleerstands reduziert. Da war die Lobby der Wohnungseigentümer am Werk, die die Bundesregierung zu diesem Programm gedrängt hat. Das Programm wird mehr und mehr zu einem Abrissprogramm.

Was halten Sie dagegen?

Wenn das Bundesprogramm 2010 zu Ende sein wird, wird es mehr Leerstand geben als heute. Dann wird es zu spät sein, festzustellen, dass man mit Abriss allein das Problem nicht begreifen kann. Wir dagegen konzentrieren uns heute schon auf die anderen, die kulturellen Aspekte der Schrumpfung. In einer ersten Phase geht es dabei vor allem um die Alltagspraktiken, die schrumpfende Städte bei ihren Bewohnern hervorbringen. In der zweiten Phase wollen wir Handlungsansätze entwickeln, wobei wir verschiedenste Kulturschaffende bis hin zu Künstlern einbeziehen.

Kulturelle Dimension der Schrumpfung. Hört sich nett an. Alles nicht so schlimm?

Stadt ist selbst ein Ausdruck unserer Kultur. Städte sind aber auch Orte der Kulturproduktion. Das hat nichts mit Verharmlosung zu tun, sondern mit der Annahme, dass aus schrumpfenden Städten einfach eine andere Kultur kommt als aus boomenden Städten. Hier werden viele Annahmen, die wir heute von städtischer Kultur haben, in Frage gestellt.

Die, die früher in den Jugendklub gegangen sind, treffen sich nun an der Tankstelle.

Das gehört dazu, auch der Vandalismus. Dazu gehört aber auch, dass aus Städten wie Detroit und Manchester sehr erfolgreiche Musikproduktionen kommen, von Techno, HipHop bis zu Punk. Die sind offenbar stark mit den Bedingungen der Schrumpfung verbunden. Das interessiert uns. Schlagworte wie „Schrumpfung als Chance“ oder „Luxus der Leere“ hingegen finde ich zynisch.

Welche Rolle spielt die Musikproduktion?

In Manchester zum Beispiel hat die neue Musikkultur bei der Suche nach einer neuen städtischen Identität und der Revitalisierung der Innenstadt eine wichtige Rolle gespielt. Da könnte man sich überlegen, was das für den ostdeutschen Kontext bedeutet.

Was verbindet Städte wie Manchester und Halle, Detroit und Iwanowo? Außer dass sie schrumpfen?

Schrumpfung ist ein Begriff, unter dem sich verschiedene Transformationsprozesse treffen. Verlust an Bevölkerung, Verlust an ökonomischer Funktion. Die Gründe dafür sind ebenfalls unterschiedlich und spielen an den verschiedenen Standorten auch verschiedene Rollen. Das sind Prozesse der Deindustrialisierung, der Suburbanisierung und der demografischen Alterung. Auswirkungen haben aber auch die Globalisierung und die postsozialistische Transformation. Die Standorte sind so ausgewählt, dass jeder für ein bestimmtes Phänomen steht, also Detroit für Suburbansierung, Manchester für Deindustrialisierung, Iwanowo für den Postsozialismus. Der Vergleich führt dann dazu, dass man zunächst Unterschiede feststellt. Dann hat man auch einen schärferen Blick auf die Gemeinsamkeiten, mit denen wir es zu tun haben, etwa den extremen Leerstand und das Eindringen großer Freiflächen in die Innenstädte.

Wäre es nicht sinnvoll gewesen, sich auf Städte vor der unmittelbaren Haustür zu konzentrieren? Die Debatte um Ostdeutschland, das auf der Kippe steht, hätte Unterstützung dringend nötig.

Sich in schwierigen Situationen national abzukapseln, finde ich befremdlich und passiert ohnehin schon viel zu sehr. Ich halte den Blick nach außen für unverzichtbar, zum Beispiel auf Städte wie Manchester und Detroit, wo man schon lange mit dem Thema Schrumpfung umgeht, aber auch auf die postsozialistischen Städte, in denen es einen radikalen Strukturwandel gab. Hiervon können wir im Guten wie im Schlechten lernen, und gerade damit wird ja die hiesige Debatte befördert.

Was unterscheidet Detroit von Halle-Leipzig? Dort neue Musik, hier Ausländer klatschen?

Das Problem der Gewalt hat man an allen Standorten, nur in unterschiedlicher Form. Sich dem zu nähern, ist sehr schwierig, es ist immer eine Gratwanderung zwischen Stigmatisierung und Verständnis. Teilweise wird es sogar zu einer negativen Imagebildung eingesetzt. Aus Detroit etwa wurde in den Achtzigerjahren die „Murder City“. Das ist heute nicht mehr der Fall. Gleichwohl setzt jemand wie der HipHopper Eminem auf genau diese Karte, um sich im Kontext der Jugendkultur zu profilieren. Das ist dann natürlich problematisch. Klar ist, dass unter den schwierigen Bedingungen der Schrumpfung soziale Konflikte stärker ausbrechen, die an anderen Standorten nur latent vorhanden sind.

Wie reagieren die Forscherteams aufeinander?

Jeder dachte bislang, mit dem Thema allein zu sein. In Detroit sagte man: Wir sind die Sonderform einer schrumpfenden Stadt. Da ist man dann sehr überrascht, zu hören, was in Ostdeutschland stattfindet. Da werden eigene Erfahrungen in einen anderen Kontext gestellt und relativiert. Dann stellt man auch fest, wie sehr mitunter versucht wird, Begriffe wie „Schrumpfung“ zu umgehen, wie da auf Stigmatisierung mit Tabuisierung reagiert wird. Das Stichwort „Stadtumbau Ost“ ist ja schon gefallen. Da treffen sich die Rückzugstendenzen auf der individuellen mit denen der politischen Ebene. Man neigt dazu, das als eigene Schuld zu empfinden.

Gibt es nicht noch einen anderen Widerspruch? Die Verlierer reagieren mit Rückzug. Für sie ist Schrumpfung Verlust. Sie als Forscher dagegen bereiten den Gewinnern das Feld, denen, die von außen kommen und ein neues Spielfeld suchen?

Nein, uns interessieren erst mal die Leute am Ort. Dabei würde ich diese nicht gegen neu Hinzuziehende ausspielen wollen. Für jede Stadt ist es wichtig, dass immer wieder neue Menschen mit verschiedenen Hintergründen und neuen Perspektive hinzukommen. Das gibt wichtige Impulse. Aber auch bei denen, die dort leben, gibt es nicht nur solche, die abwandern oder den Rückzug antreten, sondern auch solche, die die Chance nutzen.

Was sagen Sie den Jugendlichen, die Sie an der Tankstelle treffen? Hallo, ich bin Philipp Oswalt aus Berlin und will mal wissen, wie ihr euch hier fühlt? Ihr habt euren Arbeitsplatz verloren, dafür habe ich 3,3 Millionen, um euch zu erforschen?

Es ist natürlich eine große Verantwortung, dass bei so viel Geld, das man zur Verfügung hat, am Ende auch was Relevantes rauskommt. Ich würde aber auch davor warnen, dass man nur unmittelbar praktische Dinge als nützlich ansieht. Die dramatische Situation erfordert, dass wir unsere Positionen überdenken. Das wesentliche Resultat des Projekts wird ein neuer Blick auf die Dinge sein und eine Ideenproduktion für neue Handlungskonzepte. Da kann man natürlich sagen, das ist viel Geld für so etwas. Ich glaube dagegen, dass viel gewonnen wäre, wenn wir unser Ziel erreichen. In Ostdeutschland hat man Milliarden für neue Infrastrukturen verbaut und setzt diese Politik trotz fragwürdiger Resultate fort. Da kann man schon fragen, ob dann das vermeintlich Praktische wirklich nachhaltiger ist.

Die zweite Projektphase heißt Vor-Ort-Projekte. Das bereiten Sie zusammen mit der Galerie für Zeitgenössische Kunst in Leipzig, dem Bauhaus in Dessau und der Architekturzeitschrift Arch+ vor. Wie kann eine solche Intervention aussehen, die den sozialen Kontext nicht aus den Augen verliert? Beginnt nach der Diagnose dann die Therapie?

Ähnlich wie in der ersten Projektphase wird es eine interdisziplinäre Arbeitsphase geben, in der die Kulturschaffenden nicht allein gelassen werden, sondern etwa mit Soziologen und Ethnologen zusammenarbeiten. Erste und zweite Projektphase hängen eng zusammen. Ein Beispiel. Vladimir Arkhipov, ein russischer Künstler, sammelt Alltagsobjekte, die von den Leuten selbst hergestellt worden sind, weil sie es sich nicht leisten konnten, sie zu kaufen. Diese Produkte haben oft auch eine gestalterische Qualität, sind aber erst mal praktisch für den Lebensalltag. Eine solche Arbeit vergegenwärtigt das Potenzial von Eigeninitiative. Ein Hinweis auf Formen der Selbstorganisation, die es ja bis 1989 auch in der DDR gegeben hat. In Russland ist die Situation genau entgegengesetzt, diese Praktiken haben sich verstärkt. Man sollte aber nicht den Fehler machen, das unreflektiert als positive Utopie hinzustellen, das hat viel mit Überlebenskampf zu tun. Das Durchschnittseinkommen in Iwanowo beträgt 30 Euro im Monat.

Sie gehen aber davon aus, dass solche Ermutigungen, im Planerchinesisch „Empowerment“, wichtiger sind als städtebauliche Maßnahmen oder Sozialarbeit?

Ja. Wobei wir natürlich auch weiter in anderen Feldern suchen. Der öffentliche Raum ist da ein Thema, die öffentliche Infrastruktur mit Kommunikationsformen in der Öffentlichkeit. Was wir hier leisten können, sind vielleicht Gesten. Wir glauben nicht, dass wir in der Lage sind, öffentliche Räume grundlegend zu verändern.