: Es geht ums Überleben
Mit Zuckerbrot und Peitsche versucht VW seine Arbeiter mürbe zu machen. Die werden über Tarif bezahlt – wie lange noch?
AUS HANNOVER KAI SCHÖNEBERG
Gleich zwei Hiobsbotschaften musste Hartmut Meine an diesem vielleicht alles entscheidenen Tag schlucken: Pünktlich zum Auftakt der fünften Tarifrunde zwischen dem IG-Metall-Verhandlungsführer und VW meldete Europas größter Autobauer einen Gewinneinbruch von 44 Prozent in diesem Jahr. Gleichzeitig preschte die Bild-Zeitung mit der Meldung nach vorne, allein im VW-Stammwerk in Wolfsburg seien 15.000 der insgesamt 50.000 Jobs gefährdet. Das Werk sei zeitweise nur zu 60 Prozent ausgelastet.
Tapfer trat Meine am Tagungsort, dem Parkhotel Kronsberg in Hannover, vor die Presse und kündigte an, dass nun VW am Zug sei. Die IG Metall habe ihre ursprüngliche Forderung von 4 auf 2,2 im ersten und 2,7 Prozent mehr Lohn im zweiten Jahr gesenkt, wenn es denn eine Jobgarantie für die 103.000 Beschäftigten in den sechs westdeutschen Werken gebe. Meines Verhandlungsgegner, Personalvorstandsmitglied und VW-Kirchenbeauftragter Josef-Fidelis Senn, fand das Angebot offensichtlich ungenügend: Er denke, „dass wir noch ein großes Stück des Weges in Richtung Kostenentlastung definieren müssen“.
Jahrzehntelang ging es beim Tarifritual zwischen IG Metall und den VW-Managern um mehr Geld, diesmal geht es auch ums Überleben. Personalvorstand Peter Hartz beharrt weiter auf seiner Forderung, die Arbeitskosten bis 2011 um 30 Prozent zu senken, sonst werde das „Beschäftigungsvolumen in Deutschland in den nächsten Jahren dramatisch schrumpfen“.
Die Hälfte, also eine Summe von 1 Milliarde, soll allein diese Tarifrunde durch zwei Nullrunden und niedrige Einstiegsgehälter für VW-Novizen bringen. Der VW-Haustarif liegt 20 Prozent über dem Flächentarif. Während ein VW-Mitarbeiter 33 Euro pro Stunde verdient, kommt sein Kollege bei Renault oder Peugot nur auf 23 Euro. Es geht doch auch bei DaimlerChrysler: Bei dem ungleich besser positionierten Autobauer knackte der Vorstand im Sommer die Gewerkschafter mit einem Sparpaket von jährlich 500 Millionen Euro. Im Gegenzug wurde Beschäftigungssicherung bis 2012 für die 160.000 Mitarbeiter in Deutschland vereinbart. Mittags per Autokorso, abends per Fackelzug: Tausende VWler zeigten auch gestern am Tagungsort, dass sie notfalls zum Streik bereit sind. Immer wieder fiel der Satz, dass man nicht für die Fehler des Managements bluten wolle: Erst am Vortag hatte VW bekannt gegeben, dass Händler in den USA für jedes verkaufte Modell des schlingernden Luxusautos Phaeton 10.000 Euro Prämie erhielten.
Um Mitternacht lief die Friedenspflicht ab. Die IG Metall kündigte bereits Warnstreiks für die kommende Woche an, falls die Verhandlungen scheitern sollten. So was hatte es zuletzt 1990 bei VW gegeben. Ein unbefristeter Streik wäre eine Premiere in der Geschichte von Volkswagen, obwohl 97 Prozent der Belegschaft organisiert ist. Dann schlittere „VW in die gleiche Lage wie Opel“, soll Hartz intern gesagt haben. Dann hat er gelockt: Volkswagen wolle den geplanten Geländewagen auf Golf-Basis im Stammwerk Wolfsburg bauen lassen, wenn er sich durchsetze. Allein das sichere 3.000 Jobs. Außerdem wolle VW „einen Beschäftigungsatlas für jedes Werk vorlegen, aus dem jeweils klar hervorgeht, welche Mitarbeiterstärke und welche Produkte geplant sind“. Ohne sich auf eine Jahreszahl festlegen zu wollen, kündigte der VW-Boss auch eine langfristige Beschäftigungssicherung zu.
„Wir würden ja gern, aber die Mitarbeiter nicht“, sagt ein Gewerkschafter vertraulich und meint damit, dass die IG Metall durchaus zu einer Nullrunde bereit wäre, wenn VW alle Jobs bis 2011 garantiere. Auf einen „politischen Vertrag“, wie Hartz gesagt hatte, wolle man sich dabei nicht einlassen, nur auf feste tarifvertragliche Vereinbarungen. VW-Betriebsratschef Klaus Volkert hatte am Mittwoch bei einer Informationsveranstaltung vor 30.000 Mitarbeitern in Wolfsburg viel Schaum gebremst: Er erwarte „kein Tarifergebnis, das mit dem Füllhorn materielle Wohltaten über uns ausbreitet“. Die Verhandlungen dauerten zu Redaktionsschluss noch an.