Szenarien einer Zeit nach Arafat

KAIRO taz ■ Wie geht es weiter ohne Jassir Arafat?, lautet die Frage des Tages. Stirbt der Palästinenserchef, dann entsteht ein großes unberechenbares Vakuum, das zu einer Katastrophe, aber auch zu einer Chance des Neuanfangs führen könnte.

Sicher ist: Mit Arafats Tod würde in der innerpalästinensischen Szene weder die letzte Stunde abgelaufen sein noch die Stunde null des völligen Neuanfangs beginnen. Arafats Macht und Einfluss haben in den letzten Jahren nicht nur international, sondern auch unter den Palästinensern beständig abgenommen. Die Palästinenser würden zwar nach seinem Tod seine Rolle als Symbol der nationalen Einheit und des Kampfes um nationale Unabhängigkeit zunächst romantisieren, dann aber schon bald wieder zum Tagesgeschäft übergehen. Und dort sind bereits seit Monaten deutlich drei Tendenzen festzustellen, die durch das Ableben Jassir Arafats nicht ausgelöst, sondern nur verstärkt würden.

Zum Ersten hat sich die von ihm geführte Autonomiebehörde in den letzten Monaten immer mehr aufgelöst. Die israelischen Rückzugspläne aus Gaza haben dort bereits im Sommer einen Machtkampf verschärft, der sich im Juli teilweise sogar gewaltsam im Gaza-Streifen entladen hatte. Auch im Westjordanland, wie etwa in den Städten Nablus und Dschenin, haben sich zum Teil kleinere Fürstentümer gebildet, in denen einzelne Individuen ihre Macht durch ihre Privatmilizen abgesichert haben. Die Autonomiebehörde, stets von Israel geschwächt, herrscht vielerorts ohnehin nur noch pro forma.

Zum Zweiten wird sich auch die Desintegration der größten politischen Fraktion der Palästinenser, Arafats nationalistischer Fatah-Fraktion, weiter verschärfen. Arafat ist der schwache Kleber, der diese Organisation mit Mühe und Not zusammengehalten hat. Der bereits vorhandene Kampf zwischen der alten Fraktion, die einst aus dem PLO-Exil aus Tunis zurückgekehrt ist, und der jüngeren Intifada-Generation, die endlich mit neuen Ideen an die Macht kommen möchte und die die Fatah von einer Befreiungsbewegung in eine politische Partei umwandeln will, wird zunehmen.

Zum Dritten würde Arafats Tod das politische Gewicht der islamistischen Hamas-Bewegung vergrößern. Auch das ein Prozess, der schon längst im Gange ist. Hamas sammelt bei den Landsleuten immer wieder Punkte, indem sie sich als effektivste militante und nicht korrupte Organisation gegen die verhasste Besatzung präsentiert. Doch die Islamisten wissen auch, dass sie nicht das Potenzial haben, ein politisches Führungsvakuum auszufüllen, zumal ihre eigene Führung zum großen Teil von Israel liquidiert wurde.

Hamas wäre auch in einer Post-Arafat-Ära nicht daran interessiert, die Macht zu übernehmen. Ein Hamas-Coup ist unwahrscheinlich. Und genau das könnte ihr bei den Palästinensern zusätzliche Sympathie verschaffen. Möglicherweise wird die Organisation aber versuchen, in der Nach-Arafat-Zeit in einer Art Führung der nationalen Einheit, von der jetzt bereits oft die Rede ist, angemessen beteiligt zu sein. KARIM EL-GAWHARY