: Zwischen Angstschweiß und Absurdität
Das neue Studententheater Glassbooth hatte mit der Deutschen Uraufführung von Robert Shaws „Der Mann im Glaskasten“ seine erste Premiere. Das vergessene Stück des Hollywoodstars musste dafür erst selbst übersetzt werden
SS-Obersturmbannführer Adolf Karl Dorff steht wieder an der hölzernen Rampe. Er leistet schnarrend seinen Treueschwur. Bis in den Tod. Doch Dorff steht nicht an einem Konzentrationslager, sondern an der Bühnenrampe des Kunst und Kultur Cafes (KKC) der Essener Uni. „Glassbooth“ – die neue fachbereichs-unabhängige Theatergruppe der Universitäten Duisburg-Essen und Bochum hat sich auf sehr dünnes Eis gewagt und Robert Shaws von der Zeit verwehtes Theaterstück „The Man in the Glass Booth“ von 1967 in Szene gesetzt. Shaw ist der Hollywood Star aus „Der weiße Hai“ und war einst auch Gegenspieler von James Bond in „Im Auftrag ihrer Majestät“. Mitte der 1960er hat er mit dem Mann im Glaskasten für Skandal und Furore gesorgt. Donald Pleasence spielte damals den SS-Adolf, der junge Harold Pinter urinszenierte es in London, anschließend lockte es 269 Mal an den Broadway. Das Stück wurde dann irgendwie vergessen und nie ins Deutsche übersetzt. Ein Grund mehr für die Essener Anglistik-Studenten Gordon Stephan und Jens Dornheim sich an die Übersetzung des schwierigen Stoffes zu wagen. Dornheim übernahm auch noch die anspruchsvolle Hauptrolle.
Arthur Goldman, Anfang 50, ist wohlhabender Jude in New York. Sein Tagesinhalt beschränkt sich auf diverse Bankgeschäfte, Zeitungslektüre und nicht stattfindende sexuelle Zerstreuung. Er leistet sich devote Hausangestellte und die tägliche Vitaminspritze vom Hausarzt. Bei der Dekadenz im Appartement mit eigenem Aufzug zieht scheinbar Paranoia ein. Goldman wird zum Obersturmbannführer, rezitiert Führer und den Papst, der den Juden vergeben hat. Goldman zieht die Waffe, bedroht Sekretär, Schneider und Hausarzt, schreckt bei jedem Liftgeräusch zusammen. Dann erscheint der israelische Geheimdienst, der wie das Publikum überzeugt ist den ehemalige SS-Obersturmbannführer Adolf Karl Dorff vor sich zu haben. Goldman lässt sich verhaften und verhören. Zynisch wartet er auf die Verhandlung. Er will sich als als antisemitischer Jude verteidigen. Spätestens hier wird es sehr ruhig in der Studentenkneipe mit Theatersaal.
Schon Shaw hatte damals bei seiner Uraufführung mit dem Vorwurf des Antisemitismus kämpfen müssen. Auch die Vorstellung von Glassboth kann diesen Verdacht nicht schlüssig ausräumen. An der Vorstellung des antisemitischen Juden hätte der Völkische Beobachter sicher seine bösartige Freude gehabt. Diesen Begriff und die Handlung, bei der sich erst spät herausstellt, das Goldman nur einen zynischen Biografiediebstahl begannen hat, in dieser Spielweise unter absurdes Theaters zu subsumieren, reicht nicht aus, die Dramaturgie lässt das nur begrenzt zu. Die philosophische Frage, was eigentlich jüdisch sei und die überflüssige Frage, ob die Deutschen einfach nur Pech hatten auserwählt zu werden, werden nicht ausreichend abgearbeitet, am Ende bleibt ein schaler Geschmack, hier hätte mehr auch mehr sein können.
Grundlage von Shaws Fiktion ist die Historie um Verhaftung und Verurteilung Adolf Eichmanns, der als einer der meistgesuchten Nazi-Verbrecher von den Israelis aus Argentinien entführt und 1962 gehängt wurde. Ausgerechnet der Vatikan war nach dem Krieg bei seiner Flucht behilflich gewesen. Dass das Thema so absurd gar nicht ist, zeigt der Fall des Fritz Scherwitz oder Eleke Sirewitz, wie er sich ab 1945 nannte. Er hatte sich nach dem Krieg als „Volljude“ und überlebender KZ Häftling in Lettland ausgewiesen, tatsächlich war er Untersturmführer der SS gewesen und hatte in Riga ein KZ geleitet. Bei seiner Verhaftung 1948 in Bayern war er Regionalleiter für die Betreuung der Opfer des Nationalsozialismus.
Dennoch haben die Studenten hervorragende Arbeit geleistet. Nicht nur, dass sie den Stoff wieder dem Dunst der Geschichte entrissen haben, auch ihre Bühnenpräsenz mit der Thematik und den darauf folgenden Auseinandersetzungen ist im studentischen Umfeld notwendig. Besonders Jens Dornheim glänzt in der Rolle des Arthur Goldman, auch wenn viel Puder notwendig war, um ihm ein adäquates Alter zu verpassen. Wenn er sich aber langsam aus der Freizeitbekleidung heraus in den SS-Bösewicht verkleidet, dann sieht das anschließend ziemlich authentisch aus. Was so eine gefürchtete Uniform allein bereits ausmacht und wie schnell man ihm die zynische Rolle des Mannes im gläsernen Verhörkasten abnimmt. PETER ORTMANN