: McBerti macht alles richtig
Schottland bezwingt die Niederlande in Glasgow mit 1:0 und träumt von der EM-Teilnahme – jedenfalls bis Mittwoch
GLASGOW taz ■ Lange nach Schlusspfiff konnte Patrick Kluivert doch noch richtig glänzen: Sein knopfgroßer Diamant leuchtete hell und atemberaubend schön in der wie immer mit flauschigem Kunstrasen ausgelegten Mixed Zone. Frisch geduscht, parfümiert und akkurat frisiert, mit Reisekoffern und Plastiktaschen, schleppten sich Barcelonas Stürmer und die anderen Holländer träge durch den Bauch des Hampden Park – und jedes Interview, jede böse Frage nach dem Warum, machte den Weg zum Ausgang noch beschwerlicher. Auf der anderen Seite des Raumes aber wollten die Helden der Geschichte die Bühne partout nicht verlassen. In den schmutzigen Shorts, Socken und Stollenschuhen des großen Sieges genossen Berti Vogts Männer die Gratulationen und schauten zuversichtlich nach vorne. Am Tag nach dem armseligen 2:2 bei den Färingern hatte Berti Vogts eine Postkarte vom fernen Portugal in die Kabine gehängt – jetzt ist man nur noch 90 Minuten vom gelobten Land entfernt.
„Wir müssen nur relaxed und ruhig bleiben, dann können wir es auch in Amsterdam schaffen“, sagte Manchesters Darren Fletcher. Der freche Stürmer und Torschütze James McFadden schickte dem beim Rückspiel am Mittwoch gelb-gesperrten Jaap Stam noch einen Gruß hinterher: „Es ist eine Schande, dass er nicht spielen kann, wir hatten mit der Verteidigung der Holländer heute einigen Spaß.“
„Mannschaftsgeist, Wille und Leidenschaft, die perfekte Mischung“ (Fletcher) hatte den 1:0-Erfolg gegen die fußballerisch weitaus talentierteren Oranjes möglich gemacht, ähnlich geschlossen und selbstlos agierten die Gastgeber auch vor den Mikrofonen: Jeder lobte die Leistung des anderen. Christian Dailly erzählte mit großen Augen von Fletchers feinem Hackentrick, der das einzige Tor vorbereitet hatte – von Frank de Boers Bein war McFaddens Schuss in einem kleinen Bogen ins lange Eck geprallt (21.). Kapitän Barry Ferguson schwärmte von den Innenverteidigern Steven Pressley (Hearts) und Lee Wilkie (Dundee), ihre hoch konzentrierten Leistungen hatten Weltstars wie Kluivert und Ruud van Nistelrooy ausgeschaltet.
Und auch der viel gescholtene Berti Vogts sollte an diesem denkwürdigen Tag nicht zu kurz kommen. „Der Trainer hat uns hervorragend eingestellt und taktisch perfekt vorbereitet“, sagte Fletcher. Der Sieg des Underdogs war zum erheblichen Teil ein Verdienst des Deutschen: Die Niederlande waren besonders in der ersten Halbzeit mit dem aggressiven Pressing der Schotten überhaupt nicht zurechtgekommen, und mit Fletcher und McFadden waren ausgerechnet zwei junge Talente, die Vogts behutsam aufgebaut hatte, die Matchwinner.
Schon auf dem Platz hatten die unorganisierten Gäste auffallend viel miteinander zu diskutieren gehabt, später kamen allerhand Meinungsverschiedenheit zum Vorschein. „Wir haben einfach unsere vier Chancen nicht genutzt, das geht auf diesem Niveau nicht“, beschwerte sich De Boer über die Stürmer. Der ohne nennenswerte Aktion gebliebene Kluivert wiederum gab die Schuld unverblümt an den Trainer weiter. Dick Advocaat hatte sich dem öffentlichen Druck gebeugt und überraschend Ruud van Nistelrooy als Kluiverts Partner aufgestellt. „Das hat bisher noch nie funktioniert, und das hat auch heute nicht funktioniert“, beschwerte sich das indisponierte Genie.
„Kluivert versus Van Nistelrooy“ bleibt wohl das Hauptproblem einer holländischen Mannschaft, der es einfach nicht gelingt, ihre überragenden Fähigkeiten in zählbare Ergebnisse zu verwandeln. Die Klassestürmer sind sich nicht grün, beide haben im Team aber ihre jeweiligen Unterstützer, der Kader wird so in zwei geteilt. Dass dabei anscheinend auch die Hautfarbe der Spieler eine Rolle spielen, macht die Sache noch brenzliger.
Dick Advocaat wird sich entscheiden müssen, sonst wird er bald nichts mehr zu entscheiden haben. „Die EM ist die letzte Chance unserer Generation, noch in die Geschichtsbücher zu kommen“, sagt Kluivert. Bei einem Misserfolg würden sich die orangenen Kicker ebenfalls dort wieder finden – allerdings aus weit weniger erfreulichen Gründen. RAPHAEL HONIGSTEIN