Schafe schlachten für die PKK

Weil Rebellen nicht einfach in den Supermarkt gehen können, muss das Essen eben gezüchtet werden

Die taz-Serie „Die Agronauten“ fragt: Sind Sie bereit fürs Land? Anja Flach war es – und erzählt in Folge 7 von ihrer Arbeit in einer Versorgungseinheit bei der kurdischen Frauenguerilla der PKK.

Wir holen Wasser, das sehr weit entfernt mit Kanistern herangeschafft werden muss, scheren und melken Schafe, deren Wolle in den Dörfern zu Winterstrümpfen für die Partisanen verarbeitet werden soll.

Zu der Einheit gehörte eine große Schafherde, unter denen türkische Hubschrauber ein Blutbad angerichtet hatten. Mehr als 500 Schafe wurden getötet. Viele Tiere sind verletzt, haben Splitter in den Beinen, humpeln.

Es sind noch einige hundert Schafe übrig, sie müssen zweimal am Tag gemolken werden. Um die Milch zu Käse zu verarbeiten, wird sie mit einem Ferment versetzt, sie gerinnt dann, und der Quark wird in saubere Tücher geschlagen, mit Steinen beschwert, damit die restliche Flüssigkeit herausgepresst werden kann.

Der fertige Käse wird dann am nächsten Tag mit Salzwasser eingelegt und in Kanister gefüllt. Die frische Schafsmilch wird gekocht, sie ist viel fetter als Kuhmilch und schmeckt köstlich. Nachts halten Mahabat und ich zusammen Wache, vor allem müssen wir aufpassen, dass die Schafherde sich nicht zu weit vom Stützpunkt entfernt oder ein Schaf von Wölfen gerissen wird. Zu unserer Herde gehört eine kleine Ziege, deren Mutter gestorben ist. Damit sie nicht verhungert, fangen wir Schafe ein, bei denen sie trinken kann, allerdings haben wir keine Ahnung, wie oft eine Babyziege trinken muss.

Das Leben bei den Schafen ist geruhsam. Abends sitzen wir am Feuer und die Freunde erzählen. Unsere Hauptnahrung ist Fleisch, denn davon gibt es reichlich. Jeden Tag werden zwei Schafe geschlachtet. Inzwischen habe ich gelernt, sie zu zerlegen, die Knochen zu zerhacken. Meist wird dazu eine Daz benutzt, eine sichelförmige kleine Axt. Das Fleisch wird in Wasser gekocht und mit Brot gegessen.

Ich gehe mit einer Freundin zu den Schafen, um Joghurt zu holen. Auf dem Weg sehen wir ein Schaf, das von Wölfen gerissen worden ist. Nur die Innereien sind aufgefressen, der Rest ist nicht angerührt. Es gibt eine Diskussion, ob das Fleisch noch genießbar ist. Als wir von den Schäfern wiederkommen, schmurgelt es schon im Kochtopf und schmeckt hervorragend.

Mittags kommen zwei alte Frauen ins Lager. Sie bitten die Guerilla, Schafe aus einer Herde zurückzugeben, die vor einiger Zeit bei einer Aktion aus ihrem Dorf geholt worden sind. Sie jammern und klagen. Mit dem Ergebnis, dass die Frauen 500 der 1.000 Schafe zurückbekommen. Allerdings ist die Rückgabe mit Auflagen verbunden: Das Dorf soll sich nicht länger Guerilla verschließen.

Ich bin meistens in der „Fleischgruppe“. Jeden Tag schlachten wir an die 20 Schafe, was geradezu fließbandmäßig organisiert ist. Zuerst gibt es eine Arbeitsteilung: Während die Männer schlachten, zerschneiden die Frauen das Fleisch.

Nach ein paar Durchgängen gibt es Proteste, da die Männer bald einfach verschwinden, die Frauen dagegen noch bis in die späten Abendstunden arbeiten, bis alles Fleisch verarbeitet ist. Daraufhin wird alles gemeinsam gemacht.

In der traditionellen kurdischen Gesellschaft dürfen Frauen keine Tiere schlachten, das Fleisch wäre „haram“ (unrein). Dieses Tabu zu brechen macht den Freundinnen anscheinend besonderen Spaß. Wir sind mehr als 50 Frauen. Ein fröhlicher Haufen, obwohl wir von morgens bis abends sehr hart arbeiten.

Das Wetter ist schöner geworden, ich werde jetzt öfter als Schäferin eingeteilt. Gestern gab es eine „Moral“ (Versammlung mit mehreren Theaterstücken). Eins hat mir sehr gefallen: Ein Walnussbaum und eine Traubenrebe haben panische Angst, wenn die Guerilla kommt, sie fürchten sie mehr als die Soldaten, ganz zerfleddert sehen sie aus. Ein Kommandant kommt und verbietet, die Bäume anzurühren – ja, langsam setzt sich so eine Haltung durch: Naturschutzguerilla. PETRA FISCHER