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Archiv-Artikel

Im Würgegriff der Musketiere

Die französische Fußball-Nationalmannschaft zelebriert beim 3:0 über die deutsche Elf Spaßfußball allerersterGüte – sehr zum Leidwesen einer hoffnungslos unterlegenen deutschen Mannschaft, die ihre Zweitklassigkeit einräumen muss

aus Gelsenkirchen MATTI LIESKE

Höflich waren sie ja, die Franzosen, zumindest nach dem Spiel. „Ein sehr, sehr gutes Team“, bescheinigte etwa Zinedine Zidane den Deutschen, die gerade mit einer deftigen 0:3-Schlappe auf dem Buckel und den Pfiffen der Zuschauer im Nacken aus der Schalker Arena geschlichen waren. Trainer Jacques Santini sprach von „großen Gegnern“, die man sich für die EM-Vorbereitung ausgesucht habe, und davon, dass „die erste Etappe“ dieses Programms nun erfolgreich bestanden sei. Der ersten Halbzeit sagte er sogar „höchstes europäisches Niveau“ nach. Und selbst Thierry Henry, Torschütze, Vorbereiter, Entertainer und bester Spieler auf dem Platz, brummelte etwas vom „erwartet schweren Gegner“, nicht ohne hinzuzufügen, dass die Partie höllisch Spaß gemacht habe – fast so wie daheim im Hinterhof mit den Kumpels.

Kein Wunder, dass es Spaß machte. Schließlich hatten sich die Franzosen, nachdem der normale Fußball ihnen langweilig geworden war, einige neckische Spielchen zur Luststeigerung ausgedacht. Wie lange können wir den Ball in den Reihen halten, ohne dass ihn ein Deutscher berührt, zum Beispiel. Oder: Wie veräppele ich am effektivsten Christian Wörns, eine Übung, in der sich Henry hervortat. Dem war es ein Fest, dem Dortmunder, von Teamchef Rudi Völler jüngst mit dem Prädikat Weltklasse versehen, Schleifchen in die Beine zu spielen.

„Eine Vorführung“ nannte Andreas Hinkel all das später. Das Tragische daran war aber nicht, dass das Gelsenkirchener Publkum bei den Ballstafetten der Gäste ins „Olé“ der französischen Fans einstimmte, sondern vor allem, dass die Franzosen bei ihrem lockeren Ballvergnügen auch noch das Tor zum 3:0 erzielten. Zidane und Trézeguet zauberten es quasi aus dem Fußgelenk herbei, so als gäbe es keine deutsche Abwehr und keinen Oliver Kahn. Das Fazit von Hinkel, bis zum Ende einer der besseren Deutschen, war jedenfalls niederschmetternd. „Man nimmt mit, wie man’s nicht machen soll“, sagte der erfolgsverwöhnte Stuttgarter. Die Franzosen würden als Team auftreten, jeder wisse genau, wohin er zu laufen habe, „fast wie eine Vereinsmannschaft“.

Davon, dass es eine Halbzeit gar nicht so schlecht ausgesehen hatte, wollte Hinkel nichts wissen. Und auch Völler war klar: „Was bleibt, sind die letzten 20, 25 Minuten.“ Und das „nackte Ergebnis“ natürlich. Als Standortbestimmung war die Partie gegen Frankreich avisiert worden – die Einordnung des DFB-Teams ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Während die Franzosen sich trotz ihres WM-Debakels als klarer Titelkandidat für die EM nächsten Sommer in Portugal präsentierten, treiben sich die Deutschen im oberen europäischen Mittelmaß herum. Gut genug, um für Überraschungen zu sorgen, wenn die Umstände günstig sind, aber chancenlos, wenn die spielerisch überlegenen Top-Teams ihr Potenzial zum Tragen bringen.

Was möglich ist, zeigte die erste Halbzeit. Stark offensiv ausgerichtete Teams sind verwundbar in der Abwehr, was auch auf die Franzosen zutrifft. Zudem hassen sie es wie die Pest, einen eroberten Ball einfach nach vorn zu bolzen, weshalb sie auch unter Bedrängnis im eigenen Strafraum noch dribbeln und kombinieren. Krasse Abwehrpatzer bescherten den Deutschen immerhin vier exquisite Schusschancen durch Kuranyi, Schneider, Bobic und Jeremies, dazu einige viel versprechende Freistöße, die allesamt kläglich vergeben wurden. „Wenn du gegen eine Mannschaft wie Frankreich deine Torchancen nicht nutzt, kannst du nicht gewinnen“, dozierte Rudi Völler später und hatte wie fast immer recht. Schließlich stehen auf der anderen Seite „die Vier da vorne“, wie der Teamchef die Herren Henry, Trézeguet, Pires und Zidane summarisch zu nennen pflegt. Und die seien „mehr als Weltklasse“. Zwar stand das deutsche Team in der Mitte nicht mal schlecht, doch gegen die Gegenangriffe über die Flügel war häufig kein Kraut gewachsen. Henry plagte auf der rechten Seite den armen Arne Friedrich dermaßen, dass der sich um ein Haar zurück zu Hertha BSC gewünscht hätte, und machte auch mit Wörns, was er wollte. Würden Henry und Trézeguet nicht gelegentlich zu Schlampereien im Abschluss neigen, hätten allein deren Vorstöße das Resultat gut und gerne auf 5:0 oder 6:0 schrauben können. Aber wenn sie erst mal deutlich führen, dann müssen es schon Außenristzuspiele und Schlenztore sein, sonst ist es bloß der halbe Spaß. Vom Format der vier französischen Angriffs-Musketiere hat das deutsche Team keinen einzigen Akteur zu bieten, auch nicht Ballack, der nicht nur im Lichte des absurden Vergleichs mit Zidane nicht seinen besten Tag hatte.

Zidane selbst verteilte souverän die Bälle, bot einige seiner kleinen Kunststücke dar, half in der Defensive und war ganz der Lenker, den die Franzosen bei der WM so schmerzlich vermisst hatten. Besonders in Geltung kam Zidane nach dem 2:0, das „den Deutschen die Beine wegzog“, wie Frankreichs Coach Santini hübsch formulierte. Schon vorher jedoch hatte vor allem Zidane den fundamentalen Unterschied zwischen einem erstklassigen und einem zweitklassigen europäischen Team deutlich gemacht. Während die Deutschen in der Hoffnung drauflosspielten, dass der Gegner mal einen Fehler macht, oft mit spekulativen langen Bällen, versuchten die Franzosen beharrlich, sich Torchancen herauszuspielen. Das ist wahre Fußballkunst und rechtfertigt das Lob von Völler, Frankreich sei „mit Brasilien die weltbeste Mannschaft“.

Während Jacques Santini nach eigenen Worten auf gutem Wege ist, für die EM eine Mannschaft zu formen „wie im Jahre 2000, als wir gewonnen haben“, müssen die Deutschen wieder einmal auf günstige Wendungen des Schicksals hoffen, zunächst bei der Gruppenauslosung. Und vielleicht wäre es gar nicht schlecht, wenn sie in Portugal irgendwann auf Frankreich treffen. Richtig ernst genommen werden sie von denen nach dem Spaßfußball von Gelsenkirchen bestimmt nicht mehr.