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Archiv-Artikel

„Wann sind Sie glücklich, Herr Niedecken?“

WOLFGANG NIEDECKEN, 58, ist Sänger, Texter und Gründer von BAP („Verdamp lang her“). Er spielt beim taz-Kongress am Freitag, 17. April, mit der Geigerin Anne de Wolff das Mitternachtskonzert. BAP sind gerade mitten in einer Tour und haben bereits das Livealbum dazu herausgebracht: „Live und in Farbe“. Die drei CDs enthalten 36 Stücke. Das neue Album besteht aus einem Konzert in Köln vom 26. Dezember vergangenen Jahres plus fünf Songs. BAP lassen erstmals jedes Konzert aufzeichnen und verkaufen es direkt nach der letzten Zugabe auf USB-Stick. „Irgendwann fiel bei uns der Groschen“, sagt Niedecken, „Mensch, wir haben das ja alles.“

Fragen an Wolfgang Niedecken, der 1978 ein Benefizkonzert für die taz-Gründung gab

FRAGEN PETER UNFRIED

1979 wurde die taz gegründet. Wer oder was war für Sie 1979 am wichtigsten?

Unser erstes BAP-Album. Das haben wir am 28. November 1979 im Annosaal des Kölner Stollwercks live vorgestellt. Da kamen dann tatsächlich die ersten Exemplare des Albums an. Noch warm von der Pressung. Großes Gefühl. Wir waren blutigste Amateure. 1978 habe ich ein Benefizkonzert für die Gründung der taz gemacht, da habe ich noch allein gespielt.

Was hätten Sie gern noch, was Sie 1979 hatten?

1979 war das letzte Jahr, in dem ich konsequent als bildender Künstler gearbeitet habe. Ein irrsinniges Jahr. Da habe ich die Tagesbilder gemalt. Von jedem Tag des Jahres eine kleine Leinwand, auf der festgehalten ist, was an dem Tag für mich wichtig war. Die Zeit, das zu tun, hätte ich gern.

Die für Sie wichtigsten Politiker der letzten 30 Jahre?

Vor allen anderen kommt für mich Michail Gorbatschow. Bei den USA beschränke ich mich in aller Hoffnung auf Barack Obama. Und ich bedauere es sehr, dass Joschka Fischer aus der aktiven Politik ausgeschieden ist.

Die wichtigsten Platten der letzten 30 Jahre?

Tja, da kriege ich Dylans „Blood on the Tracks“ nicht unter. Das ist von 1975. Daher also: Bob Dylan, „Oh Mercy“. Lou Reed & John Cale, „Songs for Drella“. Bruce Springsteen, „The Rising“.

Die wichtigsten Bücher der letzten 30 Jahre?

John Updike, „Sucht mein Angesicht“; T. C. Boyle, „World’s End“; Philip Roth, „Verschwörung gegen Amerika“.

Wie hat sich durch den Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten Ihr Leben verändert?

Ich habe mehr Menschen kennengelernt dadurch, dass wir dann ungestört in den neuen Bundesländern touren konnten. Ich war ja ab 1984 unerwünschte Person, nachdem wir eine DDR-Tour platzen ließen.

Wer war Sigmund Jähn?

War das der Raumfahrer?

Warum war unter Rot-Grün nicht alles schlecht?

Das ist ja eine Suggestivfrage. Rot und Grün sind die beiden Richtungen, die am fließendsten ineinander übergehen. Ich habe große Probleme, mich für eine Ampelkoalition zu begeistern. Ich habe doch eine große Entfernung zur FDP.

Ist die Europawahl 2009 für Sie wichtig?

Notgedrungen. Wir interessieren uns alle viel zu wenig für Europa.

Wäre es nicht mal Zeit, dass eine Frau Deutschland regiert?

Tut sie doch. Aber auf Geschlechterproporz habe ich nie etwas gegeben. Es soll der machen, der es am besten kann

Für welche künftige Koalition würden Sie ein Konzert am Brandenburger Tor geben?

Unser Konzert für Rot-Grün 2002 hing mit dem Irakkrieg zusammen, den Schröder und Fischer abgelehnt hatten. Ansonsten wüsste ich nicht, warum man für eine Partei auftreten sollte.

Gibt es einen Song vom Grand Prix Eurovision, den Sie mögen?

Da kenne ich mich nicht aus. Ich habe als junger Mensch fassungslos davorgesessen, als meine Eltern das guckten. Das endete mit einem eigenen Fernseher.

Stehen Sie auf Angelina Jolie – oder auf Brad Pitt?

Weder noch.

Ist es cool, sich um die Zukunft seiner Kinder zu sorgen?

Da müsste man definieren, was „cool“ bedeuten soll. Ich pflege meinen Kindern gebetsmühlenartig zu sagen, dass Coolsein nichts ist. „Cool“ bedeutet kühl und oberflächlich. Das war für mich nie erstrebenswert.

Welche Zeitungen haben Sie abonniert?

Ich bin keiner, der Zeitungen abonniert. Ich gehe liebend gern zum Zeitungsladen. Das ist ein Kiosk, der auf der Strecke liegt, die ich mit meinem Hund gehe. Zu der Omi muss ich hin. Ich lese regelmäßig Zeit, weniger regelmäßig Spiegel, ab und zu taz.

Was ist das Positive für Sie an der Systemkrise der Weltwirtschaft?

Dass endlich mit dem blödsinnigen Satz aufgehört wird, dass die Kräfte des Marktes alles von selbst regeln. Tun sie eben nicht.

Braucht es angesichts des Scheiterns der Supermanager eine neue Definition von Männlichkeit?

Ich weiß gar nicht, wie die alte Definition geht. Das waren doch Images.

Wie finden Sie das bedingungslose Grundeinkommen?

Kann ich nicht sagen.

Was würden Sie arbeiten, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre?

Ich kann nur betonen, dass es ein Privileg ist, von dem leben zu können, was man gerne tut. Aber die Entscheidung habe ich irgendwann auch fällen müssen.

Warum ist Franz Beckenbauer immer noch so wichtig?

Für mich ist der nicht so furchtbar wichtig.

Ist der Gutmensch gut oder schlecht?

Das Klischee ist ein zynisches. Falsch benutzt, abgegriffen.

Konnte Böll schreiben?

Den Literaturnobelpreis kriegt man nicht nachgeworfen. Ab Anfang der 50er schrieb er in Regionen, die fantastisch sind. Im Spätwerk war er verunsichert und hat auch gelitten unter Leuten, die ihn als Gutmenschen denunziert haben.

Glauben Sie, dass „wir“ bald zu viele Menschen auf der Erde sind?

In Deutschland sind wir bald ein bisschen zu wenige Junge. Das ist erst mal das Nächstliegende.

Was bleibt von 1968?

Immer wieder neue Versuche, durch die Institutionen zu marschieren und Nachhaltiges auf die Beine zu stellen.

Wie wäre eine Welt ohne Bob Dylan beschaffen?

Vielleicht hätte ich meine Welt ohne ihn gar nicht so wahrgenommen.

Wie viel Benzin verbraucht Ihr Auto auf 100 Kilometer?

Ich habe keine Ahnung. Ich fahre einen B-Klasse-Benz.

Haben Sie die Abwrackprämie kassiert?

Nee, da wäre ich schön bescheuert.

Finden Sie es okay, dass man sich Songs aus dem Internet frei runterladen kann, ohne dafür zu bezahlen?

Würden Sie es toll finden, wenn die taz ab morgen überall gratis rumläge?

Sind Sie dafür, dass der Ausstieg aus der Atomkraft rückgängig gemacht wird?

Nein. Für die Diskussion habe ich kein Verständnis. Tschernobyl ist anscheinend schon zu lange her.

Produzieren Sie Ihren Strom selbst?

Nein.

Was ist an Ihnen jung?

Ich bin immer noch so neugierig, wie ich immer war.

Was würden Sie an sich kosmetisch korrigieren lassen?

Gar nichts.

Wovon möchten Sie wegkommen?

Gute Frage. Von meiner Faulheit. Und meinem eigentlich unentschuldbaren Desinteresse bezüglich technischer Innovationen

Welchen klugen Satz haben Sie sich zuletzt gemerkt?

Gestern habe ich ihn mir gemerkt. Heute kriege ich ihn nicht mehr zusammen. Moment … er ist aus T. C. Boyles neuem Buch. Da sagt Frank Lloyd Wright: „Architektur existiert nicht um des Gebäudes willen, sondern um des Raumes willen, den dieses umschließt.“

Wann sind Sie glücklich?

Glücksmomente habe ich meistens in der Natur. Wenn ich das einzige menschliche Wesen bin, meine Winzigkeit erkenne. Aber es ist auch ein großes Glücksgefühl, ein Teil von allem zu sein.