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Archiv-Artikel

Indígena spricht vor Staatschefs

Bei dem diesjährigen iberoamerikanischen Gipfel in Bolivien zeigt der Aufstand vom Oktober seine Wirkung. Aznar bekommt einen Dämpfer, Morales sammelt Punkte

PORTO ALEGRE taz ■ Iberoamerika-Gipfel haben ihre eigenen Rituale. Bevor die 21 Staats- und Regierungschefs aus Lateinamerika, Spanien und Portugal zu ihrem jährlichen Stelldichein zusammenkommen, interessiert die Medien vor allem: Kommt Fidel Castro? Welche Showeinlage hat sich Hugo Chávez diesmal ausgedacht? Ein Luxushotel in bester Lage, diesmal im bolivianischen Santa Cruz, bietet Gelegenheit zum bi- oder multilateralen Plausch. Schließlich wird eine lange, wohlklingende und fast immer folgenlose Abschlusserklärung verabschiedet.

Der kubanische Revolutionsführer kam diesmal nicht, was vor allem die TeilnehmerInnen des parallel tagenden „Alternativen Sozialtreffens“ enttäuschte. Chávez küsste nach seiner Landung die bolivianische Fahne und sagte, die Gastgeber („Tut mir Leid, wenn es einige stört“) hätten ein Recht auf einen Zugang zum Meer – seit einem verlorenen Krieg gegen Chile 1879 hat Bolivien keinen Pazifikhafen mehr. Dann kam Venezuelas Präsident auf die Auslandsverschuldung zu sprechen: „Es wäre doch wunderbar, wenn wir dem Norden, an den wir Jahr für Jahr Milliarden Dollar zahlen, vorschlagen würden, 40 Prozent dieser Zahlungen in Gesundheit, Bildung und Kredite für Kleinbauern zu investieren.“ Unterdessen kreiste die Maschine seines chilenischen Kollegen Ricardo Lagos noch ein bisschen länger über dem Flughafen.

Der Volksaufstand im Oktober, der den ursprünglichen Gastgeber Gonzalo Sánchez de Lozada aus dem Amt gefegt hatte, sorgte für einen ungewohnten Realitätsschub: Boliviens neuer Staatchef Carlos Mesa setzte erstmals den Auftritt eines Indígena vor dem Podium der Mandatsträger durch. Carlos Eduardo Medina, ein Chiquitano aus Ostbolivien, konfrontierte die Gäste, darunter Spaniens König Juan Carlos und UN-Generalsekretär Kofi Annan, mit 13 Forderungen des „Alternativen Sozialtreffens“, vor allem der Ablehnung der gesamtamerikanischen Freihandelszone Alca: „Dieses perverse System wird uns mit noch mehr ausländischen Produkten überfluten und die wenige Produktion, die wir noch haben, ganz zunichte machen.“ Medina geißelte die neoliberalen „Fundamentalismen“ und schloss selbstbewusst: „Das ist unser Land.“ Worauf Mexikos Vicente Fox und Spaniens José María Aznar demonstrativ den Anstandsapplaus verweigerten.

Die Gründung eines ständigen Sekretariats wurde Aznar zugestanden, Details wie Statuten oder Standort werden allerdings erst 2004 geklärt. Mehrere Staaten befürchten eine Bevormundung durch Madrid. Evo Morales hingegen war hochzufrieden: Wie ein „jüngerer Bruder von Compañero Lula“ habe er sich bei seinem Treffen mit Brasiliens Präsident gefühlt, sagte der einheimische Oppositionsführer und Kokabauern-Gewerkschafter, der zudem von Annan empfangen wurde. Und der argentinische Außenminister bestätigte, ähnlich wie Lula wolle Präsident Néstor Kirchner dem „sehr intelligenten, ruhigen“ Morales bei dessen Weg an die Regierung mit Know-how unter die Arme greifen. GERHARD DILGER