: Endlich im Mainstream!
Weltmeisterschaft der Electric Boogie-, Hip Hop- und Breakdance-Enthusiasten in der Stadthalle Bremen. Eine Szene feiert sich selbst. Mit Justin, versteht sich
Thüringer Bratwurst mit Schweiß: Süßlicher Fettgeruch zieht an den Tribünenplätzen entlang in die fast voll besetzte Halle 7 – und vermengt sich mit den Ausdünstungen der Aktiven. Ein Fläschchen Vitaminpillen rollt aus einer der oberen Sitzreihen nach unten – gehetzt verfolgt von einer jungen Schwedin im Nationaltrikot. Auf der Tanzfläche der Bremer Stadthalle ist die Hölle ausgebrochen: Unüberschaubar das Getümmel. Dutzende Formationen kommen sich beim Aufwärmen ins Gehege. Etliche Breakdancer stehen Kopf, wirbeln umher. Deftiges Bassgedröhne erschüttert den Raum. Zum zigsten Mal Justin Timberlake. Der Mainstream ist endgültig beim Hip Hop angekommen – oder der Hip Hop im Mainstream.
Gemeinsam mit dem Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband, der International Dance Organization und der Stadthalle hat der Bremer Heiko Leyhausen bereits zum zweiten Mal die Hip Hop-Weltmeisterschaft in der Stadthalle organisiert – insgesamt wurden am vergangenen Wochenende 25 Einzeltitel vergeben. In den Kategorien Hip Hop, Breakdance und Electric Boogie sind die Tänzer in verschiedenen Altersklassen als Einzelkämpfer, Duos oder Formationen gegeneinander angetreten.
Der Breakdance – auch B-Boying genannt – entstand in den 70er-Jahren in der South Bronx. Zu den rhythmischen Sprechgesängen des Hip Hop nutzten ihn schwarze und puertoricanische Jugendliche als Mittel des Schlagabtausches auf der Straße – als Zeichen ihrer Individualität. Und um sich Anerkennung in der Gang zu verschaffen. Wohl ohne Vitaminpräparate.
Charakteristisch für den Breakdance sind seine gebrochenen, abgehackten Bewegungen, akrobatische Luftfiguren und Pirouetten. Der Electric Boogie gilt als pantomimische Variante: Typisch für sie sind roboterhafte, wie in Zeitlupe ablaufende Tanzschritte, aber auch den ganzen Körper erfassendeWellenbewegungen.
Aus über 30 Ländern sind die Tänzer angereist, darunter auch Teilnehmer aus Australien, Südafrika und Brasilien. Besonders stark sind die modernen Tanzstile in den osteuropäischen Staaten, wie Litauen, Slowenien oder Tschechien, verbreitet. „Gerade in diesen Ländern ist der Tanz als solcher absolutes Kulturgut“, so Leyhausen. „Anders als beispielsweise in den USA.“
Von dort ist nur ein Teilnehmer nach Bremen gekommen. Zwar liegt die Wiege des Streetdances in New York, doch die Organisation in Vereinen oder der Besuch einer Tanzschule ist der amerikanischen Hip Hop-Szene fremd. Old-School-Anhänger mögen die Nase rümpfen, denn vom subkulturellen Hintergrund ist beim Bremer Event nur noch sehr wenig zu spüren. Die ganz Harten treffen sich sowieso woanders.
Neben den Imbissbuden trainieren Breakdancer für ihren Auftritt – kritisch beäugt von den Sicherheitsleuten. Kopfüber, die Beine stark abgewinkelt, dreht sich ein Tänzer immer schneller um die eigene Achse: Ein kleiner Bubi, kaum älter als zehn Jahre, mit dem Brustkorb eines Gewichthebers. Immer heftiger stößt er sich mit dem Händen ab, immer schneller werden seine Drehungen.
Der bullige Körper scheint keine Einheit mehr zu bilden, in einem obskuren Winkel zieht der Tänzer seine Beine nach. Dick treten die Adern an Hals und Stirn hervor – interessiert beäugt von seinen internationalen Konkurrenten. In der Halle läuft schon wieder Justin. Hübsch aufgereiht blitzen die Siegerpokale im Licht der grellen Spots.
Immer lächelnd hetzt eine vielköpfige Formation aus Slowenien durch die Liederfetzen: Einer Mischung aus monumental-brachialen Chorälen, 80er-Jahre-Dancefloor und aktuellem Charts-Gewummer – und ein bisschen Justin eben. Einer der Tänzer mimt Jesus – vor lauter Auferstehung vergisst er fast, sein Holzkreuz abzulegen.
„Für viele der Jugendlichen ist die Teilnahme an der WM die erste größere Auslandsreise“, sagt Leyhausen, „gerade aus den osteuropäischen und den baltischen Staaten.“ Der Tanzlehrer ist Ansprechpartner für so ziemlich alle Fragen und Problemchen während der WM. Bei einer Großveranstaltung wie dieser – 2.200 Aktive und nach bisherigen Schätzungen 5.000 Besucher – heißt es, den Überblick zu bewahren.
Es wuselt überall. Jeder freie Quadratmeter wird zum Aufwärmen, Umziehen oder Ausruhen genutzt. Selbst das Foyer der Halle 7 ist zur Umkleidekabine umfunktioniert, riesige Ghetto-Blaster sorgen auch im letzten Winkel für die notwendigen Bässe, während die Punktrichter entscheiden, ob „Windmill“, „Suicide“ oder „Popping“ ihren Erwartungen entsprochen haben.
Dirk Strobel