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Archiv-Artikel

„Keine antitürkischen Tendenzen in der CDU“

Ilka Keller, europapolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion, über muslimische Polygamie, die gescheiterte Unterschriftenaktion der Union gegen den EU-Beitritt der Türkei und die Gefahren eines strikten Kopftuchverbots

taz: Frau Keller, Sie fordern Aufklärung über die ‚Zweit- und Drittfrauen‘ von Muslimen, die angeblich über die Familienversicherung die Sozialsysteme belasten. Handelt es sich hier nicht um eine winzige Minderheit?

Ilka Keller: Nachdem ich diese Nachricht gelesen habe, war es mir wichtig nachzufragen, welche Auswirkungen diese Gesetzeslücke auf Nordrhein-Westfalen hat. Es ist doch wichtig zu wissen, wie viele dieser Fälle es bei uns im Land gibt.

Und wie viele sind es?

Bisher hat die Landesregierung auf meine kleine Anfrage noch nicht geantwortet. Von den 3,2 Millionen Muslimen in Deutschland leben über 1 Million in NRW. Da ist es schon wichtig, dass wir unser Verhältnis zum Islam klären. Als Grundlage unseres Zusammenlebens muss das Grundgesetz mit seinen universellen Menschenrechten der Freiheit, der Gleichheit und der Gleichberechtigung der Frauen gelten.

Und diese Grundrechte sehen Sie durch die Muslime bedroht?

Überhaupt nicht. Gerade in Nordrhein-Westfalen gibt es eine Kultur der gegenseitigen Akzeptanz. Ausnahmen bestehen aber immer.

Wie hoch ist denn die von Ihnen beklagte Subventionierung der muslimischen Polygamie?

Die konkreten finanziellen Folgen kenne ich noch nicht. Es gibt natürlich auch größere Probleme. Ich möchte die Größenordnung aber einschätzen können. Vielleicht handelt es sich ja nur um ein oder zwei Einzelfälle.

Gerade deshalb drängt sich der Eindruck auf, in der CDU herrschten antitürkische Tendenzen vor – die Mehrheit der Muslime ist nun einmal türkischer Herkunft. Selbst der Vorsitzende des deutsch-türkischen Forums in der CDU, Bülent Arslan, spricht von absoluten Einzelfällen – und warnt, ihr Vorstoß sei das falsche Signal.

Herr Arslan ist wie ich Mitglied des CDU-Landesvorstands, und wir verstehen uns gut. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er die Zahl der Fälle nicht wissen will.

Dennoch: Ist ihre Anfrage nicht Teil einer Anti-Türkei-Kampagne – von der geplanten Unterschriftenaktion gegen den Türkei-Beitritt zur EU bis hin zu ihrem restriktiven Gesetzentwurf für ein Kopftuchverbot?

Für den Landesvorstand der nordrhein-westfälischen CDU stand eine Beteiligung an einer Unterschriftenaktion nie zur Debatte. Wir wollen stattdessen die Integration der Migranten fördern, etwa durch eine bessere Sprachförderung. Gegen eine Bürgerbefragung wie in anderen europäischen Ländern hätte ich aber nichts.

Und das Kopftuch? Gerade das Beispiel des CDU-geführten Baden-Württemberg zeigt doch, dass Sie ihre harte Linie nicht durchhalten können, wenn nicht alle religiösen Symbole aus den Schulen verbannt werden sollen...

Auch ich halte unseren Entwurf in seiner Ausschließlichkeit für zu eng gefasst und plädiere für mehr Flexibilität. Aber: Unser Staat ist zur Neutralität verpflichtet – und das gilt auch für muslimische Lehrerinnen. Für mich stehen aber nicht das Kopftuch, sondern die Inhalte im Vordergrund.

Dennoch fischt die Union mit ihren Unterschriftenaktionen gern am rechten Rand.

Nein. Ein solcher Ansatz widerstrebt mir wie der ganzen Fraktion. Ich bezweifle auch, dass wir mit solchen Aktionen hier in NRW, wo eine Million Muslime leben, langfristig Erfolg haben könnten.

INTERVIEW: ANDREAS WYPUTTA