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Archiv-Artikel

Tumorleitstelle soll Spartod sterben

Zum Jahresende will die Kassenärztliche Vereinigung den Geldhahn zudrehen. Danach wird die Qualitätskontrolle bei der Behandlung von Krebskranken nur noch besseres Kaffeesatzlesen sein. Doch der Protest von Ärzten könnte zu spät kommen

Von ede

bremen taz ■ Wenn Ende Dezember die Tumornachsorgeleitstelle schließt, verliert Bremen ein wichtiges Standbein für die Qualitätskontrolle von Krebsbehandlungen. Die Schließung wäre zugleich ein Schlag gegen die Gesundheitsminister – die mehr Qualitätssicherung fordern. Aus Angst vor Qualitätsverlust organisiert deshalb der Verband der leitenden Krankenhausärzte jetzt Protest gegen die Entscheidung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Sie will aus Spargründen nicht länger 100.000 Euro jährlich für die Leitstelle aufbringen. Die vier Beschäftigten sind gekündigt.

Ab Januar also wird in Bremen niemand mehr umfassend Daten sammeln, die Rückschlüsse darauf zuließen, welche medizinische Behandlung PatientInnenleben verlängert – oder eben nicht. Dabei galt die Leitstelle dem Gesundheitsressort bislang als „hervorragendes Instrument zur Qualitätssicherung bei der Behandlung von Tumorerkrankungen“ – neben dem staatlich verankerten Krebsregister, das aber nur einen Bruchteil der Daten von jährlich rund 3.600 Bremer neu Erkrankten erfasst.

Die Daten der Leitstelle gestatten tiefe Einsichten: Mit ihnen lässt sich feststellen, welche Klinik die wirkungsvollste Krebsbehandlung durchführt. Auch Ländervergleiche wären möglich – darüber, ob Krebspatienten in Bremen dieselbe Überlebenschance haben wie beispielsweise in Hamburg oder Bayern. Auch nutzlose Behandlung wäre nachweisbar. So trat der Chef der Münchener Tumorleitstelle vorvergangene Woche im Spiegel an die Öffentlichkeit mit der Aussage, dass Chemotherapie für bestimmte Krebsarten eine lediglich qualvolle, doch erfolglose Behandlung darstellt.

Dass die Bremer Tumornachsorgeleitstelle in den zwölf Jahren ihres Bestehens mit solch schwerwiegenden Erkenntnissen nicht auffiel, hat Gründe: Sie war finanziell schon immer knapp dran. „Wir haben manchen Schatz an Erkenntnis wohl nicht gehoben“, räumt der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung, Till Spiro, ein. Nicht einmal ein Jahresbericht wurde zuletzt erstellt. KV-Geschäftsführer Günter Scherer verweist unterdessen auf steigende Ausgaben seines Hauses – bei gleichen Einnahmen. Die KV, die sich aus rund zwei Prozent der Bremer Arzthonorare finanziert, liege bei einem Haushaltsvolumen von 8,2 Millionen Euro zurzeit unter dem Haushaltsansatz von 1998.

Begonnen hatte die Leitstelle privat finanziert, als Initiative von sieben Ärzten und der Krebsgesellschaft 1991. „Die Software kam von der Medizinischen Hochschule Hannover“, sagt Gründungsmitglied Professor Ulrich Bonk, heute auch Leiter des Tumorzentrums der Bremer Krebsgesellschaft. Erst seit sechs Jahren trägt die KV den größten Kostenteil von jährlich 200.000 Euro – neben Ärztekammer, Krankenhausgesellschaft und Krankenkassen. Bonk sieht die Arbeit als Erfolgsgeschichte: „Es sind unheimlich viel Daten geworden.“ Die Meldebereitschaft Bremer Ärzte sei enorm und liege über dem anderer Länder. Das dürfe nicht zerstört werden. Für die „Weiterentwicklung einer datengestützten, einrichtungsübergreifenden onkologischen Qualitätssicherung“ sprach sich kürzlich auch Gesundheitssenatorin Karin Röpke (SPD) aus.

„Politik muss auch finanzielle Verantwortung übernehmen“, sagt dazu Ulrich Bonk. Angesichts neuerer Entwicklungen beispielsweise bei der Brustkrebsbehandlung sei es jetzt höchste Zeit, Krebsregister und Leitstelle in eine Hand zu legen. In Brandenburg gebe es bereits eine vergleichbare Initiative. So könne Qualitätssicherung auf eine neue Stufe gestellt werden – und Bürokratie in Arztpraxen abnehmen. ede