begebenheit im osten von EUGEN EGNER :
Vor ungefähr zehn Jahren unternahm ich mit drei Kollegen eine Fahrt durch eine östliche Landschaft, die damals reich an heruntergekommenen, leer stehenden Herrenhäusern und Schlösschen war. Um Geld zu sparen, pflegten wir in derartigen Gemäuern zu übernachten, was seinen Reiz hatte, besonders für Menschen mit Sinn fürs Morbide. Wir gehörten nicht zu denen, die bei solchen Gelegenheiten die Schadhaftigkeit der vorgefundenen Immobilien durch ihr Verhalten mutwillig noch vergrößern, sondern begegneten denselben durchaus mit dem gebotenen Respekt. Dies hinderte uns allerdings nicht, des Nachts auf dem ruinierten Parkett ehemaliger Salons zu sitzen, geistigen Getränken zuzusprechen und uns trefflich zu unterhalten, wobei wir, wie gesagt, jederzeit die Form wahrten.
Nach einem solchen Anlass kehrte eines Morgens mein Bewusstsein aus gleichsam unterirdischen Tiefen ans gedämpfte Tageslicht zurück. Nach wie vor saß ich zusammengesunken am Boden, jetzt schmerzte mein ganzer Körper. Ich verspürte Hunger und rasenden Durst. Auf meiner Armbanduhr war es zehn nach neun. Die anderen waren auch noch da, wo sie in der Nacht gesessen hatten. Wie seltsam sie in ihrem Schlaf wirkten, wie aller Anatomie spottend. Geradezu wie ein paar Kleiderhaufen.
Als ich fähig war, genauer hinzusehen, erschrak ich. Das konnten keine Menschen sein! Auf allen vieren kroch ich hin, um mir Gewissheit zu verschaffen. In der Tat waren es nicht meine drei Kollegen, die da vornüber gekippt am Boden hockten, sondern grobschlächtige Bälger aus teergetränkten Lumpen. Anscheinend hatte ich sehr tief geschlafen, und dies war ein unerwarteter Scherz, den sich die Herrschaften mit mir erlaubten. Die Teerpuppen mussten sie irgendwo auf dem Grundstück gefunden haben. Ich war schon neugierig auf den dazugehörigen Bericht. Jeden Augenblick erwartete ich das Gelächter der Witzbolde, doch es blieb aus. Wo mochten sie sein?
Mir blieb nichts anderes übrig, als sie zu suchen. Die Kollegen waren nirgends zu sehen. Wahrscheinlich waren sie draußen beim Wagen. Der Wagen stand an derselben Stelle wie am Abend zuvor, aber etwas stimmte nicht. „Hat der gestern schon so ausgesehen?“, fragte ich mich erstaunt, denn das Fahrzeug war ungewohnt rostig und verbeult. Es fehlten sogar zwei Räder! War das auch ein Scherz? Welch ein Aufwand, nur um mich zu mystifizieren! Was war bloß in meine Mitreisenden gefahren? Ich öffnete die knarrende Fahrertür und ließ mich auf den zerschlissenen Sitz fallen. Was hier vorging, verstand ich nicht.
Ratlos versuchte ich, wenigstens den Rückspiegel richtig einzustellen. Dabei sah ich, dass sich vom Haus her jemand näherte. Drei Gestalten waren es, und mir sträubten sich die Haare, als ich sie erkannte. Nicht meine Kollegen wankten da mühselig heran, sondern die Teerpuppen! Dass spaßeshalber Erstere in Letzteren stecken könnten, nahm ich aufgrund der offenkundigen anatomischen Unmöglichkeiten keine Sekunde lang an. Ich fuhr um mein Leben. Noch als sie mich aus dem Auto zerrten, behielt ich das Lenkrad in Händen und ließ nicht nach, Motorgeräusche aufs Dringlichste mit der Stimme nachzuahmen.