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Archiv-Artikel

Lehrer gesucht – aber nicht eingestellt

Die Konferenz der Kultusminister hat ausrechnen lassen, wie viel Neueinstellungen der Generationswechsel bei Lehrern nötig macht. Aber die Länder halten sich nicht daran. In diesem Jahr gibt es 8.000 Neulehrer zu wenig, über 70.000 fehlen bis 2015

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER

Roland Koch (CDU) konnte es gar nicht oft und laut genug sagen. Der Ministerpräsident Hessens, der die Wahl 1999 auch mit Hilfe einer Lehrerkampagne gewonnen hatte, verkündete bis vor kurzem selbst jedem, der es nicht hören wollte: Hessen bekämpft den Stundenausfall, wir geben Unterrichtsgarantie!

Kochs Mitteilungsdrang hat inzwischen nachgelassen, ja sein Kultusministerium hält die Einstellungszahlen für Pauker sorgsam unter Verschluss. Kein Wunder. Denn auch Hessen bricht sein Versprechen, genug Lehrer für die geplagten Schulen anzuheuern – wie die meisten Bundesländer. Der Republik steht ein neues Lehrerdesaster bevor.

Die Kultusminister der Länder haben insgesamt 8.000 LehrerInnen im Jahr 2004 zu wenig eingestellt. Mit 22.000 neuen Pädagogen blieben sie um knapp ein Drittel unter der Marge von 31.000 neuen PädagogInnen, die bis 2015 alljährlich gebraucht werden, um allein die Unterrichtsversorgung gewährleisten zu können. Das Peinliche: Schon heute sind deutsche Lehrer (Durchschnittsalter plus 50) die ältesten Europas. Die Kultusminister wollten dem abhelfen – und verabschiedeten 2003 mit viel Pomp einen Mindestbedarf für Neueinstellungen bis 2015. Bleiben die Zahlen dahinter zurück, drohen in zehn Jahren 70.000 LehrerInnen zu fehlen.

Bekannt gemacht hat das neue Schulproblem gestern der angesehene Bildungsökonom Klaus Klemm von der Universität Duisburg-Essen. Klemm bedauerte, dass die Länder die Einstellungszahlen für Lehrer seit 2001 kontinuierlich zurückfahren würden. „Damit verpassen die Kultusminister, die sinkenden Schülerzahlen zur qualitativen Verbesserung der Schule nach Pisa zu nutzen“, sagte Klemm, der sein Gutachten für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) anfertigte.

GEW-Chefin Eva-Maria Stange ermahnte die Kultusminister dringend, sich an die eigenen Vorgaben zu halten. „Die Länder steuern sonst mit ihrer Einstellungspolitik mitten in den nächsten ‚Schweinezyklus‘ hinein“, warnte Stange. Das böse Wort beschreibt das schwer steuerbare Hin und Her von Lehrermangel und -arbeitslosigkeit, das die Bundesrepublik nicht zum ersten Mal treffen würde.

Die Gewerkschafterin wies auf das eigentliche Problem hin, das die inadäquate Einstellungspolitik nach sich ziehen wird: Gerade laufen diverse Bildungsreformen an, die mehr und besseres Personal brauchen. „Wir sind auf zusätzliche personelle Ressourcen angewiesen, sonst sind Ganztagsschule und individuelle Förderung nicht zu schaffen.“

Der Blick auf Soll und Ist offenbart das ganze Desaster der Personalpolitik der Bundesländer: Niedersachsen stellt 2004 weniger die Hälfte des angezielten Solls von 4.882 Neulehrern ein (Ist: 2.245), Saarland nur 63 Prozent (Soll: 557, Ist: 351), Brandenburg kümmerliche 35 Prozent (Soll: 232, Ist: 82). Gerade so, als hätte es die kritische Lehrerstudie der OECD nie gegeben. Über dem Soll liegen die Einstellungszahlen unter anderem in Baden-Württemberg, Berlin, Thüringen und Hamburg.