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Archiv-Artikel

Angst vor dem Superabschieber

Nockemann will Länderkollegen zur Massenabschiebung von Afghanen überreden. Vize-Ministerin aus Kabul mahnt Senat: In Afghanistan ist kein Leben sicher

Obwohl Menschenrechtler davor warnen, will sich Hamburg auf der heute in Jena beginnenden Innenministerkonferenz (IMK) für die systematische Abschiebung von Afghanen stark machen. Innensenator Dirk Nockemann (Schill) wird seinen Länderkollegen sagen, dass sich Hamburg entgegen eines IMK-Beschlusses vorbehält, ab 2004 in das von Krieg zerrüttete Land abzuschieben. In Hamburg, wo die größte afghanische Gemeinde Europas lebt, war gestern die Vize-Frauenministerin Afghanistans, Soraya Rahim, zu Gast. Sie forderte: „Hamburg darf jetzt nicht abschieben. In Afghanistan ist kein Menschenleben sicher.“

Noch hält sich die Innenbehörde laut Sprecher Marco Haase an den IMK-Beschluss, nachdem nur Straftäter in das vorderasiatische Land abgeschoben werden dürfen. Doch vom Frühjahr an müssten etwa 4.000 der 17.000 hier lebenden Afghanen mit Ausweisung rechnen, darunter geduldete Flüchtlinge und abgelehnte Asylbewerber. Wie Haase betonte, sollen allein stehende Männer zuerst raus. Verschlechtere sich die politische Lage in Afghanistan nicht, seien Abschiebungen vertretbar.

Das sieht Vize-Ministerin Rahim anders. Die gestürzten radikal-islamistischen Taliban „sind überall. Sie haben nur die Kleidung gewechselt, nicht aber die innere Einstellung.“ Rückkehrern drohe ein „Kulturschock“. So seien viele Städte zerstört, nahezu alle Männer trügen Waffen, von Jobs sei nur zu träumen. Auch nach Kriegsende würden Frauen weiterhin massiv diskriminiert. In den von Taliban beherrschten Südprovinzen seien unverschleierte Frauen ihres Lebens nicht sicher, beklagte Ilse Schwartz von Afghanistan Info Hamburg. Mädchen und Frauen würden von Bildung ausgeschlossen. „Es gibt Anschläge auf Mädchenschulen und das neue Studienrecht für Frauen wackelt.“ Schwartz schätzt, dass 8.500 Afghanen in Hamburg von Abschiebung bedroht sind, die Hälfte davon Frauen. „Die haben in Afghanistan keine Chance.“

Die GAL fordert deshalb ein geregeltes Bleiberecht. Migrationspolitikerin Antje Möller hält den Vorstoß des Senats für überzogene Eile: „Nockemann will sich als Superabschieber profilieren.“ Dass nur 23 Afghanen die freiwillige prämienunterstützte Rückkehr in Anspruch nahmen, zeige, „dass aus Sicht der Afghanen die Lage im Land unberechenbar ist“. EVA WEIKERT