: „Ich kämpfe für echte Gleichheit“
Maria Bashir ist Afghanistans einzige leitende Staatsanwältin. Sie lehnt das von Präsident Karsai unterzeichnete umstrittene Ehegesetz ab und kämpft für mehr Gleichheit unter den Geschlechtern. Andere Frauen ermutigt sie, selbst aktiver zu werden
MARIA BASHIR, leitende Staatsanwältin in Herat, Westafghanistan, hat schon Morddrohungen erhalten.
INTERVIEW MARTIN GERNER
taz: Frau Bashir, der afghanische Präsident Hamid Karsai hat ein neues Gesetz unterschrieben, das die Rechte von Frauen beschneidet. Sie sollen nicht frei das Haus verlassen können und dem Mann sexuell zu Diensten sein, eine Art sanktionierte Vergewaltigung in der Ehe. Was denken Sie darüber?
Maria Bashir: Das Gesetz ist vollkommen indiskutabel und unmoralisch. Es bedeutet einen Rückschritt für die Rechte der Frauen in Afghanistan. Konservative Kräfte unter den Schiiten, an die sich das Gesetz richten soll, erkennen die hanafitische Auslegung der Verfassung nicht an. Innerhalb dieser Minderheit gibt es deshalb Versuche, Tatsachen zu schaffen. Ich hoffe, dass dies verhindert werden kann.
Wo verletzt das Gesetz die Rechte der Frauen am meisten?
Was in dem Gesetz steht, ist ein absoluter Rückschritt für Frauen. Einige der Inhalte sind mir nicht einmal aus Taliban-Zeiten in Erinnerung. Es werden viele Gelder ausgegeben, damit das Recht eine Chance bekommt. Dieses Gesetz würde bedeuten, dies alles rückgängig zu machen.
Welche Fortschritte kann man überhaupt bei den Frauenrechten erzielen, wenn der Staatspräsident ein solches Gesetz unterschreibt?
Afghanistan ist seit Jahrhunderten eine patriarchalisch gewachsene Gesellschaft, in der Männer das Sagen haben. Das fängt bereits im Kindesalter an. Wo Gäste sind, dürfen zum Beispiel Mädchen nicht in Erscheinung treten. Sie sind unerwünscht, dürfen weder Essen noch Trinken auftragen. So werden die Geschlechterrollen konditioniert.
Millionen von Hilfsgeldern sind in Programme für „gender equality“, das heißt für mehr Gleichheit zwischen den Geschlechtern, gesteckt worden. Hat das etwas geändert?
Ich war zweimal eingeladen in die USA, zu ein- bis zweiwöchigen Fortbildungen. Das hat mir geholfen. Aber die meisten Fortbildungen, die von der UNO oder Hilfsorganisationen in Afghanistan angeboten werden und die ich besucht habe, sind rausgeschmissenes Geld. Angeboten internationaler Hilfsorganisationen fehlt oft der konkrete Bezug zur afghanischen Wirklichkeit. Viele Fortbildungen wenden sich nur an Frauen, anstatt auch die Männer als Zielgruppe mit einzubeziehen.
Sie sind die einzige leitende Staatsanwältin in über dreißig Provinzen Afghanistans. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Diese Woche sind sechs Personen in Herat entführt worden. Einer davon ist ein Mitarbeiter aus meinem Büro. Er war auf dem Weg von zu Hause zum Frisör und ist anschließend nicht wieder aufgetaucht. Seit sechs Tagen fehlt jede Spur von ihm. Die Polizei kann auch nichts unternehmen, weil sie meist weder professionell ausgerüstet ist noch theoretisch gut geschult ist.
Ich leite hier die Arbeit von insgesamt 82 Staatsanwälten in Städten und Provinzen, 35 davon würde ich als zuverlässig ansehen. Sie kennen sich, soviel ich weiß, sowohl im islamischen wie im modernen Zivilrecht aus. Aus der Taliban-Zeit ist kein Richter mehr dabei. Aber ich kann nicht behaupten, dass alle den neuen Weg bedingungslos mitgehen.
Können Sie Fortschritte in Ihrer Amtszeit verzeichnen?
In rund 60 Fällen ist es gelungen, Opfern von Gewalt zu helfen. Das betrifft vor allem Fälle häuslicher Gewalt, in denen Männer ihre Frauen schlagen oder ihnen das Sorgerecht nehmen wollen. Hier konnten wir erreichen, dass die Männer verurteilt wurden und in Haft mussten, wie es im Gesetz steht. Aber die Widerstände sind groß. Wenig Fortschritt gibt es in Fällen der Scheidung und des Erbrechts, wo die Auslegung des islamischen Rechts Frauen eindeutig benachteiligt. Faktisch sind Frauen in Afghanistan bisher häufig von diesen Möglichkeiten ausgeschlossen gewesen. Das lässt sich nur sehr langsam ändern. Das Mindestheiratsalter für Frauen wurde von 9 auf 16 Jahre heraufgesetzt. Das reicht noch nicht aus. Ich kämpfe hier zusammen mit einer Reihe von Frauen im afghanischen Parlament für echte Gleichheit. Tatsächlich wird das Gesetz durch die Tradition täglich ausgehebelt. Ich ermuntere Frauen immer wieder, aktiver zu sein und ihre Rechte einzuklagen, auch wenn das schwer ist.
Woher nehmen Sie Mut und Zuversicht für dieses Amt ?
Zu Beginn der Taliban-Zeit haben wir mit 50 bis 60 Frauen in der Burka vor dem Sitz des damaligen Gouverneurs demonstriert. Wir hofften damals, die Verbote für Frauen in Beruf, Bildung und Privatleben abschwächen zu können. Sie haben uns mit Gummiknüppeln verfolgt und geschlagen. Ich habe mit meinem Schuh zurückgeschlagen.