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Archiv-Artikel

Der gastronomische Gottesbeweis

DAS SCHLAGLOCH von KERSTIN DECKER

Muslime betrachten Westler, die keinen Alkohol trinken, mit großer Wärme. Gut für George W. Bush

Bei den Muslimen hat sich ein ganz unmittelbares Bewusstsein davon erhalten, dass Religion vor allem etwas mit Essen zu tun hat. Im Augenblick hungern alle vorbildlichen Muslime. Um Gottes willen. Und auch wenn sie wieder essen – Gott kommt mit einkaufen. Der Verbraucherschutzzentrale Bremen ist das auch schon aufgefallen. Soeben ist ein „Einkaufsführer für Muslime“ erschienen, herausgegeben von der Verbraucherschutzzentrale.

Wer ist der Souverän? In traditionellen Gesellschaften Gott, bei uns der Verbraucher. Manche sagen: der Wähler, aber das ist Humbug. Der Verbraucher macht nichts anderes als wählen. Er ist das, was nach Gott kommt. Ist Verbraucher-Sein eine Identität? Egal, die Verbraucherschutzzentrale Bremen ist keine selbstquälerische Vereinigung, und bisher ist sie auch noch nicht durch die Verbreitung religiösen Schriftguts aufgefallen. Aber der „Einkaufsführer für Muslime“ ist nur scheinbar religiös. Zwar unterteilt er die Lebensmittel nicht länger in sehr gut bis unbefriedigend, sondern in die Kategorien halal (erlaubt), haram (verboten) und mushbooh (zweifelhaft). Dafür haben die Bremer eigenmächtig Gott als Endverbraucher eingesetzt.

Was hätte Mohammed von Tiefkühlpizza gehalten? Wie steht Allah zu Kellogg’s Cornflakes? Widerspricht Maggi-Fix für Kartoffelgratin dem Koran? Jeder Muslim kann ab sofort nachlesen, dass Hipp-Baby-Möhrenbrei höchstwahrscheinlich keinen versteckten Alkohol enthält und Dr. Oetkers Tortenmehl im Prinzip kein Schweinefett.

Jeder Einkauf wird so viel mehr als nur ein Ego-Trip. Er wird eine Art Gottesdienst. Die Religion als Küchenphänomen. Ist die gastronomische Theologie gar die neue Wissenschaft der Zukunft? Immerhin ist auch George Bush das unmittelbare Ergebnis einer metaphysischen Ernährungsumstellung, in seinem Fall von Flüssig- auf Festnahrung. Kein Mensch hätte heute Nacht nervös vor dem Fernseher sitzen müssen, hätte George W. Bush nicht einmal in seinem Leben folgenschwer zwischen halal und haram unterschieden. Die Kategorie mushbooh kommt in Amerika inzwischen nicht mehr so häufig vor. Das Zweifelhafte in Kriegszeiten ist zu zweifelhaft.

Betrachten wir zuerst die Religion in ihrer Eigenschaft, durch den Magen zu gehen. Die These lautet: Jede Religion ist im Kern gemeinschaftlicher Verzehr Gottes. Also ein gastronomisches Ereignis. Dass Gott bestimmen darf, wann wir fasten, ist uns ein wenig fremd. Es wirkt so autoritär. Über unsere Mahlzeiten entscheiden wir selber, und wann wir Diät machen auch. Darf man nicht gerade vom obersten, vollkommensten Sein zivilisierte, also demokratiefähige Umgangsformen erwarten?

Andererseits ist das kollektive Hungern wirklich eine kongeniale Art, die Anwesenheit des Höchsten zu bemerken. Ja, es ist der bislang viel zu wenig beachtete gastronomische Gottesbeweis. Gott ist das Loch in der Magengegend, und da alle es spüren, existiert er. Darauf wären die Philosophen natürlich nie gekommen. Wie viele Mystiker sind schon wahnsinnig geworden, weil sie ihren Gott nicht mehr spüren konnten? Ein sehr moderner und sehr trauriger Nachdenker hat das säkular formuliert: Wenn ich Hunger habe, fällt es mir leichter, mir zu vergegenwärtigen, dass ich lebe. Das ist die existenzielle Erfahrung. Die tiefsten Erlebnisse des Menschen kommen aus dem Bauch. Darum liegt ihre religiöse Interpretation so nahe. Die Religion ist ein Einverleibungsphänomen.

Aber nicht nur, dass der Mensch per Speiseplan Gott ganz nahe kommt. Es lassen sich auch bedenkenswerte Nebeneffekte erzielen. So zählt es etwa zu den zivilisatorischen Verfallserscheinungen, wenn ein Buch namens „Moppel-Ich“ die Bestsellerlisten eines Landes anführt. Bemerkt denn keiner die Selbstvergottung in diesem Moppel? Dahin kann es kommen, wenn Menschen Diäten machen für sich selbst anstelle von Gott.

Wir halten fest: Am Anfang war weder das Wort noch der Geist und schon gar nicht die Tat. Am Anfang war das Essen. Nämlich als Opfermahl. Nur das Christentum hat dieses Verhältnis inzwischen so unkenntlich gemacht, dass wir beim Abendmahl gar nicht mehr ans Essen denken. Dabei ist es doch überdeutlich: „Dies ist Blut von meinem Blute, Leib von meinem Leib.“ Die Grundschicht ist noch immer die des nordamerikanischen Indianers oder der alpenländischen Ureinwohner, die Bärenblut trinken, damit die Kraft des Tieres auf sie übergehe.

Trinken ist genauso wichtig wie Essen. George Dabbelju Bushs Bärenblut hieß Johnny Walker. Die Kraft ist trotzdem auf ihn übergegangen. Wenige konnten so viel Johnny Walker trinken wie er. Allerdings unterscheidet sich Bärenblut insofern von Johnny Walker, als von Nachwirkungen bei regelmäßigen Bärenbluttrinkern bis heute nichts bekannt wurde. Am Morgen nach seinem 40. Geburtstag, man kennt die Geschichte, fühlte sich der spätere Präsident wie eine einzige Nachwirkung. Das ist auch eine Form der religiösen Identität, die eher negative. Wo früher man selber war, ist jetzt nur noch Nachwirkung. Das ist der klassische Damaskus-Punkt. An dieser Stelle gibt es genau zwei Möglichkeiten. Entweder man geht zu den Anonymen Alkoholikern. Diese Position ist bescheiden, sie ist illusionslos und selbstaufgeklärt. Sie birgt überhaupt nur einen entscheidenden Nachteil. So wird man niemals Präsident der Vereinigten Staaten. Überhaupt ist nicht ganz zufällig noch nie ein anonymer Alkoholiker irgendwo Präsident geworden. Bush wählte also den zweiten Weg. Er hörte auf zu trinken, von einem Tag auf den anderen, und sagte sich: Ich bin zu Höherem bestimmt.

Hat er nicht Recht? Jeder, der schon einmal tiefer über sich nachgedacht hat, weiß, dass seine eigentlichen Verdienste gar nicht seine Verdienste sind. Da ist eine Kraft, die kommt nicht nur aus dir selbst. Da ist auch eine, die kommt dir entgegen. „Ich bin zu Höherem bestimmt.“ Jedem Penner am Bahnhof möchte man dieses Selbstbild empfehlen. „Im spirituellen Sinne habe ich begonnen, Jesus Christus zu akzeptieren“, ergänzte Bush. Wie – „im spirituellen Sinne“? Spiritus. Warum muss man bei Bush da immer gleich an Whisky oder Erdöl denken? Seine Vorfahren kamen von der „Mayflower“. Die „Mayflower“ ist das Fundamentalistenschiff, das 1620 an der Küste der Neuen Welt anlegte. Vielleicht war es doch nicht so gut, dass lauter Fundamentalistenfamilien Amerika besiedelten. Lauter protestantische Sekten.

Religion geht durch den Magen: Die Einverleibung Gottes ist im Kern ein gastronomisches Ereignis

Wer ist George W. Bush? Jemand, der weiß, dass Johnny Walker vom Teufel ist. Also fast schon ein Bekehrter. Muslime sehen Westler, die keinen Alkohol trinken, immer mit großer Wärme an. Den halben Weg zur Muslimität hat George W. Bush also schon hinter sich. Das mit der „Akzeptanz von Jesus Christus im spirituellen Sinne“ kann er sich ja noch mal überlegen.

Und gut befreundet mit der Bin-Laden-Familie ist er auch. Den Krieg im Irak hat er vor allem geführt, damit es nicht so auffällt. Seit Michael Moores „Fahrenheit 9/11“ wissen wir das genauer. Fünfzehn der neunzehn Flugzeugentführer des 11. September waren Saudis. Und Bush zeigt einfach auf ein Land weiter. Wenn das nicht Pragmatismus ist. Vielleicht wollte Bush eigentlich Präsident von Saudi-Arabien werden?

Fotohinweis: Kerstin Decker lebt als freie Publizistin in Berlin.