: „Nebenregierung im Pentagon“
Interview ERIC CHAUVISTRÉ
taz: Professor Johnson, seit sieben Monaten sind die US-Streitkräfte im Irak. Die menschlichen und finanziellen Kosten der Intervention und Besatzung steigen. Ein Ende scheint nicht in Sicht.
Chalmers Johnson: Es ging bei dem Irakkrieg auch darum, die typische Form des heutigen Imperialismus umzusetzen, das heißt: die Errichtung von Militärbasen. Schon jetzt werden im Irak drei neue Stützpunkte gebaut. Die Regierung ist offensichtlich enttäuscht angesichts des wachsenden Widerstands. Ihr Plan ist es dennoch, dort zu bleiben. Eine wirkliche Exit-Strategie gibt es nicht, weil wir nie vorhatten, den Irak wieder zu verlassen. Angetrieben wird diese Politik von zwei Faktoren: Militarismus und Imperialismus.
Sie sprechen von „Imperialismus“. Das klingt nach ziemlich veralteter Rhetorik.
Es mag so klingen. Aber das ist es nicht. Das amerikanische Imperium unterscheidet sich von den anderen Imperien, die in der Vergangenheit existierten. Mit Kolonialismus hat das nichts zu tun, es ist ein Imperium von Militärbasen. Selbst das Pentagon gibt an, 725 Stützpunkte außerhalb der USA zu unterhalten. Tatsächlich ist die Anzahl noch sehr viel größer. Die weltweit verteilten Spionage-Stationen werden nicht gezählt, ebensowenig die meisten Standorte in Großbritannien, die nominell britische Einrichtungen sind. Auch viele Basen im Nahen und Mittleren Osten oder etwa der Stützpunkt im Kosovo werden offiziell nicht als permanente US-Militärbasen geführt. Nach dem Verschwinden der Sowjetunion gab es keine tatsächliche Veränderung. Stattdessen haben die USA die 90er-Jahre damit verbracht, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um eine Weg zu finden, ihre Truppenstationierungen aus dem Kalten Krieg überall fortzusetzen. Schließlich haben sie eine Entschuldigung dafür gefunden: den „Krieg gegen den Terrorismus“.
Wenn es nicht die Eroberung neuer Märkte ist, das den von ihnen so genannten Imperialismus antreibt, wie traditionell marxistisch argumentiert würde, was ist es dann?
Ich glaube Marxismus ist hier überhaupt nicht relevant. Es ist stattdessen vielmehr die Idee, dass die Vereinigten Staaten das neue Rom sind: ein Koloss, eine Macht mit außergewöhnlicher Kraft, der niemand etwas entgegenstellen kann. Die USA sollen deshalb nicht eingeschränkt werden durch Alliierte oder internationales Recht. Dies fügt sich zusammen zu einer Art Verhalten in der Welt, das Imperialismus genannt werden kann – auch wenn es in vielen Fällen überhaupt nicht zu unserem wirtschaftlichen Vorteil ist.
Sie unterstellen auch einen „Militarismus“: Das klingt nach Preußen, Stechschritt, uniformierten Massen und verbohrten Generälen. In den USA scheint man davon aber wenig zu sehen.
Das ist ein Problem mit den Deutschen. Sie generalisieren immer ihre eigenen Erfahrungen. Der Begriff „Militarismus“ bezieht sich auf eine Situation, in der ein stehendes Heer zu einer straffen Organisation mit eigenen inhärenten Interessen wird. Die US-Streitkräfte haben insgesamt 1,4 Millionen Soldaten im aktiven Dienst. Hinzu kommen ihre Angehörigen und die Zivilbeschäftigten des Pentagons. Das Pentagon betreibt weltweit allein 234 Golfplätze. Ich versichere Ihnen: Wenn Sie ein amerikanischer Marineinfanterist sind, haben Sie auf Okinawa und vielen anderen ausländischen Stützpunkten ein besseres Leben als auf einer Militärbasis in Kalifornien. Der treffende historische Vergleich hier ist nicht der mit Deutschland, sondern der mit der römischen Republik. Sie war der amerikanischen Republik sehr ähnlich, und auch sie entwickelte langsam ein Imperium. Als das Imperium der römischen Republik bis nach Kleinasien und Spanien ausgedehnt war, entdeckten sie in Rom, dass das unausweichliche Zubehör eines Imperiums ein stehendes Heer ist, und schon bald gab es Interessengegensätze zwischen dem gestärkten Militär und der römischen Republik. Die führten zu ihrem Untergang – und zu einer Militärdiktatur, die wir das Römische Reich nennen.
Und heute sehen wir das in den USA?
Wir sehen Ähnliches. Schon der erste Präsident der USA, George Washington, warnte vor einem großen stehenden Heer. Und es war Präsident Dwight Eisenhower, der 1961 in der Abschiedsrede zum Ende seiner Amtszeit den Begriff vom militärisch-industriellen Komplex erfand: ein Komplex mit inhärentem Eigeninteresse.
Das ist 40 Jahre her.
Heute ist dieser Komplex praktisch an der Macht. Das Pentagon ist nicht das Verteidigungsministerium – es ist eine Nebenregierung auf der Südseite des Potomac. Und die Kommandeure der Regionalkommandos – wie Centcom für den Nahen und Mittleren Osten oder Eucom für Europa und Afrika – sind die Nachfolger der römischen Prokonsuln, viel mächtiger als alle Diplomaten und zivilen Regierungsbeamten der USA.
Gehen Sie da nicht zu weit?
Ich betone diese wachsende Rolle des Militärs, weil es oft ein Tabu-Thema ist. Und ein Tabu ist es gerade deshalb, weil es oft mit klassischem Militarismus der preußischen Art assoziiert wird. Aber es bedarf eines sehr genauen Blickes auf das, was in den Streitkräften vorgeht: auf die korrupten Beziehungen zwischen dem industriellen Komplex und den Streitkräften, auf den Austausch ziviler Führungskräfte: alle hohen Position im Pentagon sind heute mit ehemaligen Führungskräften aus Firmen besetzt, die Rüstungsgüter liefern, während gleichzeitig hohe Offiziere des Militärs nach ihrer Pensionierung für die Rüstungsindustrie arbeiten. Die Budgets der US-Geheimdienste sind Verschlusssache, auch 40 Prozent der Verteidigungsausgaben gehen in geheime „black projects“. Das macht jede Art effektiver parlamentarischer Kontrolle praktisch unmöglich. All dies ergibt ein Bild, das meines Erachtens zu Recht mit dem Begriff Militarismus bezeichnet wird.
Auch sie waren der Macht sehr nahe. Sie waren Berater der CIA und, ihrer eigenen Einschätzung nach, ein überzeugter Kalter Krieger.
Ich habe in der Tat an die Gefahr durch die Sowjetunion geglaubt. Aber als diese Gefahr verschwunden war, hätte dies eine fundamentale Neuverteilung der Ressourcen der USA zur Folge haben müssen – weg von der militärischen Alarmbereitschaft, zurück zu den vielen notwendigen Aufgaben im Inneren. Wir haben es nicht nur unterlassen, dies zu tun. Wir haben auch alles in unserer Kraft Stehende getan, um nach dem Ende des Kalten Krieges unsere von dieser Auseinandersetzung geformten Strukturen aufrechtzuerhalten. Die USA haben sich mit dem Ende des Kalten Krieges nicht wie nach anderen Konflikten verhalten: Sie kehrten nicht zu einem zivilen Leben zurück. Die USA begannen nicht, ihre weltweiten Basen, etwa die in Deutschland und Japan, abzubauen, die doch angeblich wegen der Bedrohung durch die Sowjetunion dort installiert worden waren. Das führt zu der Frage, ob es bei dem Kalten Krieg nicht um etwas anderes ging, nämlich um einen imperialen Drang Amerikas, der nach dem Zweiten Weltkrieg begann, als die USA sich daran machten, die Nachfolge des britischen Empires anzutreten.
Es gibt Leute, die argumentieren, ein US-Imperium sei an sich kein Problem. Man müsse nur alles daransetzen, die USA zu demokratisieren und einzubinden.
Das ist nichts als Wunschdenken. Unabhängig davon, ob man es eher tolerieren mag, unter einem amerikanischen anstatt unter einem anderen Imperium zu leben. Denn das Imperium trägt immer die Samen seiner eigenen Zerstörung in sich. Es führt zu imperialer Überdehnung, zu einer Verschwendung von Ressourcen, zu Verpflichtungen, die nicht einzuhalten sind – vor allem aber zur ideologischen Verkrustung und zur Unfähigkeit, seine eigene Gesellschaft zu reformieren. Die Gefahr eines Imperiums liegt ja gerade darin, dass es niemandem gegenüber verantwortlich ist. Nur so kann es zu dem ideologischen Enthusiasmus eines Präsident George W. Bush kommen.
Nehmen wir an, Bush verliert die nächste Wahl. Was würde sich verändern?
Es ist wichtig für die Europäer zu erkennen, dass es nicht nur um eine kurzeitige Krise geht. Selbst wenn im November 2004 ein Demokrat zum Präsidenten gewählt wird, würde dies wahrscheinlich nichts verändern. Wer auch immer ihn ersetzt, muss immer noch mit dem Pentagon, den Geheimdiensten und dem militärisch-industriellen Komplex fertig werden.