: Ein schwarzes Neujahrsfest
Ein vor Monaten friedlich begonnener Protest gerät nun außer Kontrolle. In Bangkok ist der Notstand ausgerufen
VON NICOLA GLASS
Schüsse hallten in den Straßen, Rauch stieg auf, marodierende Massen zogen durch Bangkok: „Ein schwarzes Songkran!“, titelte die Zeitung The Nation. So hatten sich die Menschen ihr buddhistisches Neujahrsfest wahrhaftig nicht vorgestellt. Antiregierungsdemonstranten besetzten Kreuzungen, kaperten Busse und auffahrende Panzer und errichteten Barrikaden aus brennenden Autoreifen. Dann rückte die Armee an – mit Tränengas, Warnschüssen und Wasserwerfern.
Seit Beginn der Proteste wurden über 80 Menschen verletzt. Gestern hieß es gar, es habe mehrere Tote gegeben: „Die Armee hat auf friedliche Protestler mit M 16-Waffen gefeuert“, sagte der zu den Demonstranten gehörende Jaran Ditapichai, früher Mitglied der thailändischen Menschenrechtskommission. Mindestens vier Demonstranten seien ums Leben gekommen, ihre Leichen habe die Armee beiseitegeschafft. Das Militär bestreitet dies. Am Abend wurde dann gemeldet, bei einem Schusswechsel sei ein Mensch getötet worden. Zwei Personen seien bei einem Gefecht zwischen Anwohnern und regierungsfeindlichen „Rothemden“ in einem Wohngebiet verletzt worden. Ob es sich bei dem Toten um einen Demonstranten oder Anwohner handelte, war zunächst unklar.
Premierminister Abhisit Vejjajiva verhängte den Notstand über Bangkok und die umliegenden Provinzen. Zugleich forderte er die in revolutionäres Rot gekleideten Protestler zur Zurückhaltung auf. Doch die scheren sich nicht darum. Die Demonstranten nennen sich Vereinigte Front für Demokratie gegen die Diktatur und sind Anhänger des 2006 vom Militär entmachteten Premiers Thaksin Shinawatra. Ihr Ziel ist es, Abhisit aus dem Amt zu hieven. Was vor Monaten als überwiegend friedlicher Protest begann, gerät nun außer Kontrolle. Am Samstag sprengten Thaksin-Getreue den Asean-Gipfel im Badeort Pattaya. Die hohen Gäste mussten per Hubschrauber zu einem Militärstützpunkt ausgeflogen werden. Gastgeber Thailand war blamiert.
Der Machtkampf hält schon mehr als drei Jahre an. Im September 2006 war Thaksin aus dem Amt geputscht worden. Er floh, nun ruft er seine überwiegend aus der armen Landbevölkerung im Norden und Nordosten stammenden Anhänger aus dem Exil zum Umsturz auf: „Jetzt, da Panzer in den Straßen sind, ist es Zeit für das Volk, zu einer Revolution herauszukommen. Und wenn es nötig ist, werde ich ins Land zurückkehren.“ Die jüngsten Proteste sind ein Déjà-vu – nur mit umgekehrten Vorzeichen. Schon 2008 drohte Thailand im Chaos zu versinken, als die sogenannte Volksallianz für Demokratie, kurz PAD, auf die Straße ging. Sie wollte die Ende 2007 neu gewählte und erneut aus Thaksin-Anhängern bestehende Regierung stürzen. Die Krise drohte zu eskalieren, als die PAD Ende August 2008 das Gelände des Regierungssitzes stürmte und später beide Bangkoker Flughäfen besetzte. Erst ein Urteil des Verfassungsgerichtes brachte die „Gelben“ dazu, sich zurückzuziehen: Die bis dato regierende People Power Party wurde wegen Wahlbetrugs aufgelöst, etliche Spitzenpolitiker sowie der damalige Premier Somchai Wongsawat, ein Schwager Thaksins, mussten zurücktreten. Was dann folgte, waren politische Manöver: Einstige Thaksin-Anhänger liefen zu Abhisits Demokratischer Partei über. Kritiker monieren, das Militär habe bei dieser Regierungsbildung „nachgeholfen“. Abhisit muss sich Vorwürfe gefallen lassen, eine Marionette hoher Militärs und konservativer Kreise zu sein.
Die Unterstützer Thaksins fühlen sich betrogen. In den vergangenen Monaten initiierten sie mehrere Massendemonstrationen, darunter auch gegen General Prem Tinsulanonda, in dem sie den Drahtzieher des Putsches von 2006 vermuten. Die Vorwürfe sind politisch brisant. Prem ist Präsident des Staatsrates und damit bedeutendster Berater des Königs. Fest steht: Thailands Machtkampf zwischen „Gelben“ und „Roten“ wird andauern. „Die Gräben in der thailändischen Gesellschaft werden sich weiter vertiefen“, so der Politikwissenschaftler Somchai Phagaphasvivat. Auch einen weiteren Putsch schließt er nicht aus.