: Mafia-Informant als lukrativer Zweitjob
Staatsanwaltschaft in Palermo erhebt Anklage gegen den christdemokratischen Präsidenten der Region Sizilien. Er soll zwei Mafiosi über polizeiliche Ermittlungen informiert haben. Regierungsparteien stilisieren Angeklagten zum politisch Verfolgten
AUS ROM MICHAEL BRAUN
Salvatore Cuffaro, christdemokratischer Präsident der Region Sizilien, ist von locker-freundlicher Art. Totò vasa vasa, Totò Küsschen Küsschen nennen ihn seine Wähler, weil er mit allen gut kann und sich darüber ein gigantisches Netzwerk von Kontakten geschaffen hat.
Allerdings auch sehr gefährlichen Kontakten, wenn man der Staatsanwaltschaft Palermo glauben darf: Sie erhob am Dienstag Anklage gegen Cuffaro wegen Begünstigung der Mafia. Der Regionspräsident, dessen Prozess am 1. Februar beginnt, soll systematisch Informationen über polizeiliche Ermittlungen an zwei ihm bekannte Mafiosi, den Chef einer Privatklinik und einen Arzt, weitergeleitet haben.
Cuffaro bestreitet das: Er habe nichts davon gewusst, dass die beiden für die Mafia aktiv waren. Der mächtigste Mann Siziliens kann sein Unwissen aber nicht plausibel machen – einer der Mafiosi war gerade erst nach mehrjährigem Knastaufenthalt in die Freiheit zurückgekehrt, mit dem anderen traf sich Cuffaro konspirativ im Hinterzimmer eines Bekleidungsgeschäfts, angeblich um über „Tarife im Gesundheitswesen“ zu verhandeln. Mit Cuffaro sind ein Regionalabgeordneter der christdemokratischen UDC sowie ein Carabinieri-Beamter angeklagt, der tagsüber Wanzen bei den Mafiosi einbaute und sie dann nächtens über die Überwachungsmaßnahmen informierte.
Cuffaro aber denkt nicht an Rücktritt. Zwar fordert die Opposition in Palermo und Rom seine Demission, aber die Regierungsparteien stehen wie ein Mann zu ihm und stilisieren ihn zum politisch Verfolgten. Italiens Öffentlichkeit behandelt den Fall als Nebensache ohne Gewicht.
So geht es auch einem zweiten Mafiaskandal. Ebenfalls am Dienstag verfügte ein Untersuchungsrichter die Anklageerhebung gegen Mario Mori, früher Leiter der Carabinieri-Einheit für „Sonderoperationen“ und heute Chef des Geheimdienstes SISDE. Mori lässt sich seit Jahren als Held der Festnahme des Bosses der Bosse, Totò Riinas, feiern.
Doch die Carabinieri sollen damals, 1993, ein schmutziges Spiel gespielt haben: Als der Staatsanwalt die Durchsuchung der Riina-Villa in Palermo forderte, riet Mori ab. Es sei besser, die Villa weiter mit Kameras zu überwachen, um eventuelle Komplizen zu erwischen. Dann wurden die Kameras noch am gleichen Tag abgeschaltet – und fast drei Wochen blieb die Mafia-Villa unbewacht. Als schließlich die Fahnder anrückten, war sie komplett ausgeräumt.
Seither hält sich der Verdacht, der heutige Cosa-Nostra-Chef Bernardo Provenzano habe Riinas an die Carabinieri verkauft und im Gegenzug die Zusage erhalten, er könne sämtliches Beweismaterial abtransportieren lassen – darunter auch eventuell Belastendes über Kontakte zwischen Politik und Mafia. Mario Mori soll deshalb wegen Begünstigung der Mafia der Prozess gemacht werden. Auch er macht weiter, als sei nichts gewesen. Ebenso gibt es keine Anzeichen, dass die Regierung ihn von seinem Amt als Geheimdienstchef entbinden könnte.