piwik no script img

Archiv-Artikel

Networker sind diesmal vorsichtig

WASHINGTON taz ■ Wenn wenig passiert, wird viel geredet. Das gilt besonders für verunsicherte Fernsehmoderatoren. Die plauderten in der Wahlnacht auf ihr amerikanisches Publikum ein, was die Umfragen und Berichte so hergaben.

Das Motto des Abends hatten die CNN-Nachrichtenstars Wulf Blitzer und Judy Woodruff vorgegeben: Wir werden heute ganz vorsichtig sein! Schließlich hatten einige Fernsehsender bei der Präsidentenwahl 2000 frühzeitig Al Gore zum Sieger in Florida ausgerufen – was den Wahlsieg bedeutet hätte – und dann George W. Bush. Zu spät setzte sich damals die Erkenntnis durch, dass die Ergebnisse so knapp waren, dass man besser abgewartet hätte. Denn inzwischen hatte Gore seine Niederlage eingestanden und Bush zu dessen Erfolg gratuliert.

Auslöser der Misere damals war eine willkürliche Pro-Bush-Entscheidung von Fox News, die andere Sender ungeprüft übernommen hatten. Diesmal hieß es daher: Abwarten und immer schön vorsichtig formulieren. „Wir prognostizieren, dass Bush North Carolina gewonnen hat“, hieß es etwa, als der dort schon über zehn Prozent Vorsprung hatte. Um Seriosität zu suggerieren, wurden detaillierteste Zwischenergebnisse am unteren Bildrand eingeblendet. So lag zum Beispiel Kerry schon nach Auszählung von einem Prozent der Stimmen in Nevada hinten. Wow!

Zwischendurch schaltete NBC zu Reportern nach Florida, die über allerlei Probleme mit den neuen Wahlmaschinen berichteten, während die ABC-Kollegen fanden, dass dort alles so glatt liefe. Aus den Wahlkampfzentralen von Bush und Kerry wurden nach jedem Zwischenergebnis Reporter zugeschaltet. Ja, Kerrys Leute waren um 21 Uhr zuversichtlich. Und um 22 Uhr, um 23 Uhr, um 0 Uhr … Und bei Bushs Republikanern war ohnehin Party angesagt, weil sie auch künftig Repräsentantenhaus und Senat beherrschen. Das freut den Fox-Moderator.

Kritische Nachfragen sind in dieser Nacht nicht angesagt. Man wartet lieber auf gesicherte Zahlen. Derweil dürfen die üblichen Experten ran: Kann es sein, dass die Handybesitzer die Wahl entscheiden, weil die von den Demoskopen nicht berücksichtigt wurden? Oder: War die Ablehnung der Homoehe für viele Konservative wichtiger als das marode Gesundheitssystem? Dies ist die Stunde ehemaliger Wahlkampfmanager wie George Stephanopulous und James Carvill, die einst Bill Clinton ins Weiße Haus katapultierten. Und die sind so seriös, dass man meinen könnte, ZDF zu schauen.

Nur gelegentlich wagt sich ein Sender mal vor und erklärt Bush oder Kerry in einem Staat zum Sieger. Erst am frühen Morgen sprintet wieder Fox nach vorn, fast zeitgleich mit NBC: Bush hat Ohio gewonnen – und damit die Wahlen. Wenn nicht doch noch Anwälte und Gerichte entscheiden müssen.

Für diesen Fall macht sich Late-Night-Star Jon Stewart ernsthaft Sorgen: Wer soll für ihn Schadenersatz erklagen, wenn sein Mantel in der Reinigung ruiniert wird? Alle Anwälte des Landes arbeiten doch dann für Bush oder Kerry.

DANIEL HAUFLER