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„Glückwunsch, Mister President“

Ohio hätte zum neuen Florida werden können. Doch dann gab John Kerry auf und gratulierte George W. Bush am Telefon

VON THILO KNOTT

Lange Zeit sah es so aus, als drohte bei dieser Wahl in Ohio ein neues Florida. Während das Weiße Haus gestern Morgen US-Präsident George W. Bush zum Sieger erklärte, grübelten die Demokraten von Herausforderer John Kerry noch, ob sie um den alles entscheidenden Bundesstaat Ohio kämpfen – und damit auch um das Präsidentenamt. „John Kerry und ich haben versprochen, dass jede Stimme zählt und jede Stimme gezählt wird“, erklärte John Edwards, der an der Seite von Kerry für die Vizepräsidentschaft kandidiert hatte, zunächst in Boston. Die US-Präsidentschaftswahl drohte wie 2000 zur Hängepartie zu werden. Doch dann gestand Kerry seine Niederlage ein.

Kerry rief George W. Bush kurz nach 11 Uhr Ortszeit (17 Uhr MEZ) an. Das Telefonat habe weniger als fünf Minuten gedauert, hieß es. Kerry gratulierte mit den Worten: „Glückwunsch, Mister President.“ Kerry soll Bush als würdigen und ehrenwerten Kontrahenten bezeichnet haben, hieß es aus Kreisen der Demokraten. Der Herausforderer habe im Gespräch mit George W. Bush außerdem beklagt, die Vereinigten Staaten seien zu zerrissen, und Bush habe dem zugestimmt. „Wir müssen wirklich etwas dagegen tun“, sagte John Kerry nach Angaben des demokratischen Gewährsmanns. Mit diesem Eingeständnis der Niederlage bleibt den USA ein juristischer Marathon wie im Jahr 2000 erspart.

Nach Auszählung der Stimmen in Ohio kam Bush auf 51 Prozent (2.794.346 Stimmen) und John Kerry auf 49 Prozent (2.658.125 Stimmen). Dieses Ergebnis bringt Bush die entscheidenden 20 Wahlmänner, die in Ohio vergeben werden. 270 Wahlmänner sind nötig, um US-Präsident zu werden. Bush kommt mit Ohio auf 274 Wahlmänner. Auch Kerry hätte mit einem Sieg in Ohio Präsident werden können, er verbuchte bis dato 252 Wahlmänner.

Zwar waren neben Ohio gestern auch noch die Ergebnisse in Iowa (7 Wahlmänner) und New Mexico (5 Wahlmänner) offen, allerdings hätte ein Erfolg in diesen Staaten wegen der geringen Zahl der Wahlmänner für keinen der beiden Kandidaten zum Sieg bei der Präsidentschaftswahl gereicht. In Iowa verzögerte sich die Auszählung wegen Problemen mit den Wahlmaschinen. In New Mexico ist der Abstand zwischen Bush und Kerry so gering, dass erst alle Briefwählerstimmen ausgezählt werden müssen, bevor ein offizielles Ergebnis bekannt gegeben werden kann. In beiden Staaten liegt Bush vorne. Aus Sicht des Weißen Hauses waren daher die Wahlen gelaufen. Laut Bush-Sprecher Andrew Card war der Vorsprung in Ohio zudem nicht mehr einholbar und die Mehrheit der 539 Wahlmänner daher sicher.

Die Hoffnung der Demokraten stützte sich in Ohio zunächst auf die so genannten provisorischen Stimmen. Das System der provisorischen Stimmabgabe wurde in den gesamten Vereinigten Staaten nach dem Wahldebakel des Jahres 2000 in Florida eingeführt. Allen Bürgern wird dadurch die vorläufige Stimmabgabe ermöglicht, auch wenn ihr Wahlrecht am Wahltag nicht geklärt ist. Dies gilt etwa für Bürger, deren Name wegen eines kürzlichen Umzugs nicht auf den Wahllisten steht. Ihre Wahlberechtigung muss erst geprüft werden, bevor ihre Stimme in das Ergebnis einfließt.

Das amtliche Endergebnis des ausschlaggebenden US-Bundesstaats – und damit der Präsidentschaftswahl – wird deshalb frühestens Mitte November feststehen. Kenneth Blackwell, Innenminister von Ohio, hatte in der Wahlnacht gegenüber dem Fernsehsender CNN erklärt, nach dem Wahlgesetz von Ohio dürfe mit der Auswertung dieser provisorischen Stimmen erst elf Tage nach dem Wahltag begonnen werden – also am 13. November. Blackwell erklärte, die Anzahl der noch nicht ausgewerteten Stimmen in Ohio könne sich auf bis zu 250.000 Stimmen belaufen. Darunter könnten 175.000 provisorische Stimmen sein. Hinzu kommen noch nicht ausgewertete Briefwahlstimmen. Nachdem nun Kerry aber seine Aufgabe erklärt hat, wird die Auszählung kaum mehr sein als eine kosmetische Korrektur des Ergebnisses. Bushs Wahlkampfteam sprachen den provisorischen Stimmen in Ohio ohnehin keine entscheidende Bedeutung zu. Die Erfahrung habe bislang gezeigt, dass lediglich 7 bis 20 Prozent dieser Stimmen auch wirklich gültig seien, erklärte Sprecherin Nicole Devenish.

Die Demokraten sahen das zunächst anders. Nach Schließung der Wahllokale erwog die Partei, noch mehr Anwälte in den Schlüsselstaat zu schicken – so genannte Swat Teams, auf Wahlrechtsfragen spezialisierte Juristen. Ohnehin hatten die Demokraten tausende Anwälte in Ohio, galt der Bundesstaat doch als „Battleground State“, als Staat, in dem ein äußerst knappes Wahlergebnis erwartet wurde.

Der Staat im alten Industriegürtel der USA ging vor vier Jahren klar an George W. Bush, der 165.019 Stimmen mehr als der damalige demokratische Herausforder Al Gore bekam. Doch diesmal rechneten sich die Demokraten in dem mit gut 11 Millionen Einwohnern siebtgrößten Bundesstaat der USA eine weit bessere Chance aus; schließlich leidet Ohio unter Wirtschaftsproblemen vor allem im industriellen Sektor. Im Zuge der Rezession 2001 gingen hier mehr als 225.000 Arbeitsplätze verloren. Die Arbeitslosenquote ist mit 6 Prozent überdurchschnittlich hoch. Kerry hatte deshalb in Ohio – neben Pennsylvania und Florida – die meisten Wahlkampftermine absolviert. Wie Präsident Bush auch, schließlich gingen beide Wahlkampfteams davon aus, dass Präsident wird, wer zwei von den drei Bundesstaaten Ohio, Pennsylvania und Florida gewinnt. Kerry siegte in Pennsylvania (51 zu 49), Bush deutlich in Florida (52 zu 47 Prozent).

Der Druck auf John Kerry, die Niederlage einzugestehen und nicht bis zu einer nachträglichen Auswertung in Ohio zu warten, war beträchtlich. Denn anders als vor vier Jahren hat George W. Bush auch die Stimmenmehrheit im ganzen Land gewonnen, 2000 lag Al Gore vorne. Nun ließ der Amtsinhaber seinen Kontrahenten Kerry im ganzen Land mit mehr als 3,5 Millionen Stimmen hinter sich. Insgesamt 58.309.946 US-Amerikaner votierten für Bush, Kerry kam dagegen lediglich auf 54.791.588 Stimmen.

Die Republikaner würden Herausforderer John Kerry noch ein wenig Zeit geben, über das Ergebnis der Wahl nachzudenken, erklärte Bush-Sprecher Andrew Card auf die Frage, warum sein Chef bei der Siegesfeier der Republikaner in Washington fehlte. Kerry hat nicht lange nachgedacht.

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