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Archiv-Artikel

Ein Kreuz aus Katzenfutterdosen

Wenn das Laub geharkt ist, wächst die Langeweile und die Gewaltbereitschaft steigt. Kein anderer besingt das Elend und das Fehlen von Sinn in Nordzehlendorf so genau wie Dosi, der unseren Reporter an die Orte seiner Songs führte

„Es ist echt die Hölle hier, Mann“, sagt Dosi, zerknüllt eine Dose Eistee, sein Markenzeichen, und zeigt auf die Wand des Einfamilienhauses, vor dem wir stehen. Wie auch die Nachbarhäuser ist es mit frischer Farbe beschmiert. Die Gerüste sind abgebaut, in den Beeten stehen die Flowers in Reih und Glied – und doch ist vieles nur Fassade, ein goldener Käfig, in dem sich das wohl härteste Getto jenseits von South Central L. A. verbirgt: Nord-Zehlendorf oder „North Z.“, wie Dosi und die Boyz aus seiner Gang in einer Mixtur aus Ehrfurcht, Hass und Faulheit sagen.

Über den Alltag hier singt der junge Rapper, über Gewalt, Liebe, den Briefträger und vor allem über Drogen: „Viele Leute trinken Sekt, weil sie es sonst nicht mehr aushalten“, merkt Dosi an, „andere rauchen Zigarren. Ein Kumpel von mir knallt sich schon morgens grünen Tee rein – vor dem Abend ist der nicht mehr müde!“

Wir schleichen flüsternd durch ruhige baumbestandene Straßen. Ohne Zögern hat Dosi der Bitte entsprochen, uns an die Orte seiner Songs zu führen. „Aber leise“, hat er uns schon am Telefon eingeschärft, „sonst wird’s gefährlich: die halten um die Zeit alle ihren Mittagsschlaf!“ Der sensible Beobachter schreibt voll wütender Emotion über „die ganze elende Scheiße hier“. So entstehen dann induzierte Texte wie „Erdbeerquark“ aus seinem ersten Album „Käuzchensteig“, das sich über Nacht auf Platz 800 der Independent-Charts katapultierte. Auch Aggression ist ein häufiges Motiv: „Manchmal kommst du nichts ahnend um die Ecke und liegst im selben Moment schon blutend am Boden“, warnt er, „die streuen einfach nicht.“ Hauptursachen der Gewalt sind Langeweile und fehlende Perspektiven: Kaum jemand hat Arbeit – die meisten sind pensioniert oder leben von ihren Zinsen. Wenn dann das Laub geharkt ist, entlädt sich oft der geballte Frust: „Erst vor zwei Wochen hat ein Anwalt da hinten mit seinem Jaguar ’ne Katze totgefahren“, deutet Dosi auf ein Kreuz aus Katzenfutterdosen vor einer Jugendstilvilla, „danach sind hier fast Riots ausgebrochen.“ Dazu kommen noch Gebietsstreitigkeiten zwischen rivalisierenden Gangs: „Hinter der Clay fängt West East Dahlem an“, erläutert Dosi und seine Augen verengen sich zu gefährlich Schlitzen, „das kontrollieren die ‚D.-Fighters‘. Mit denen und den Steglitzern knallt es im Grunde dauernd. Fast jeder hat hier ein Messer in der Küchenschublade – ich hab schon gute Freunde bluten sehen.“

„Im Kampf?“

„Nein, eigentlich bei jeder Gelegenheit. Es gibt ziemlich viele Bluter hier – North Z. ist ja praktisch eine abgeschlossene Gesellschaft.“ Außerdem gebe es viele Ausländer hier, in erster Linie Schweizer, Schweden und Kanadier, „aber ich hab’ nichts gegen Arschfotzen“, beeilt er sich zu sagen, „respect!“ Wir schweigen kurz. „Bei den Problems baust du natürlich auch ’ne Menge Scheiße“, merkt Dosi schließlich selbstkritisch an. „Was für Scheiße“, möchten wir wissen.

Er druckst herum. Fast setzt der Shooting-Star seine Street Credibility aufs Spiel. „Wir machen dann so Sachen wie bei Rot über die Clay gehen – direkt hinter dem Rücken der Cops“, zeigen sich am Ende doch die Rebel-Roots, „oder wir ziehen Flowers aus den Vorgärten ab.“

„Richtig – du hast da so einen Song drüber gemacht …“

„Genau.“ (Er rappt:) „ … Muttertag, abgefahrn, kann’s kaum erwarten; wir klauen uns Flowers aus Nachbars Garten …“

Wir sind vor der Minigolfanlage angekommen. Am Eingang wartet schon Dosis Gang: „What’s up, Niggaz“, begrüßt uns Friedemann von Humbrecht-Düvel, ein blasser Junge in Kniebundhosen. Was er, Dosi, sich von der Zukunft erhoffe, wollen wir zum Abschied wissen. Er wirkt nachdenklich. „Irgendwann raus aus dem Ghetto“, murmelt er leise, „und endlich mal knutschen.“

ULI HANNEMANN