: Bagatellgrenze für Menschenwürde
Häftling bekommt keinen Schadensersatz, obwohl er zwei Tage in einer überfüllten Zelle untergebracht war
KARLSRUHE taz ■ Nicht für jede Verletzung der Menschenwürde gibt es Schadensersatz. Dies entschied gestern der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil. Ein Exhäftling ging daher leer aus, der zwei Tage lang in einer überfüllten Zelle saß.
Der inhaftierte Programmierer Andreas H. war im Juli 2001 bei einem Transport von einem Gefängnis zum anderen zwei Tage lang in der Justizvollzugsanstalt Hannover untergebracht worden. Damals saßen fünf „Transporthäftlinge“ in einer nur 16 Quadratmeter großen Zelle und konnten sich zwischen den Betten, Spinden und einem Tisch kaum bewegen. Das Klo war nur durch einen Vorhang abgetrennt. Wenn einer auf der Toilette saß, hörten und rochen die anderen alles.
Auch nach Ansicht der BGH-Richter verstieß diese Unterbringung gegen die Menschenwürde. Schadensersatz soll H. dennoch nicht bekommen. Es fehle ein „Mindestmaß an Schwere“, da die unzulässige Behandlung nur zwei Tage währte. H. sei „nicht nachhaltig körperlich oder seelisch belastet“ gewesen. Außerdem habe der Staat hier nicht in schikanöser Absicht gehandelt, sondern die Haftanstalt sei akut überbelegt gewesen.
In erster Instanz hatte das Landgericht Hannover 200 Euro Schadensersatz für angemessen gehalten. Das Oberlandesgericht Celle hatte das Urteil aufgehoben und Ansprüche verneint. Der BGH bestätigte diese Entscheidung nun. Es sei als Genugtuung für H. ausreichend, dass gerichtlich die Verletzung der Menschenwürde festgestellt wurde. In vergleichbaren Fällen aus anderen Staaten hatte auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg so geurteilt.
Eine Geldzahlung sei auch nicht erforderlich, um Häftlinge künftig vor überbelegten Zellen zu schützen. Wer menschenunwürdig untergebracht ist, könne mit einer Klage die sofortige Beendigung des Zustandes erreichen. Eine Frist wollten die Richter nicht nennen, ab wann doch Schadensersatz gezahlt werden muss. „Es kommt hier ganz auf die Haftsituation im Einzelfall an“, sagte der Vorsitzende Richter Wolfgang Schlick. Der inzwischen entlassene H. will Verfassungsbeschwerde einlegen.
In der Praxis kommt es oft zu längerfristigen Unterbringungen in mehrfach belegten Zellen ohne separates WC. Die Länder streben deshalb über den Bundesrat eine Änderung des Strafvollzugsgesetzes an. Parallel dazu werden neue Haftanstalten gebaut. Dagegen wird im rot-grün regierten Schleswig-Holstein mehr als anderswo versucht, Haftstrafen zu vermeiden, indem Strafen häufi- ger zur Bewährung ausgesetzt und in gemeinnützige Arbeitspflichten verwandelt werden. (Az.: III ZR 361/03)
CHRISTIAN RATH