: „Keine Krise zu erkennen“
Modeselektor und Apparat ergibt: Moderat. Berlins Supergroup der elektronischen Musik erzählt im Interview, wie man für die gemeinsame Platte minutiös am Klang gefeilt hat. Aber auch davon, dass Raver wegen Kindern früh ins Bett gehen
Moderat nennt sich der Zusammenschluss von Modeselektor, dem DJ-Duo aus Sebastian Szary (34) und Gernot Bronsert (30), und dem Produzentenkollegen Apparat (30). In der elektronischen Musik haben sich alle Beteiligten international einen recht prominenten Namen gemacht: Modeselektor fertigten Remixe für Björk und gingen für Radiohead als Einheizer auf Tournee. Apparat, der privat den Namen Sascha Ring trägt, ist Mitbesitzer des stilprägenden Berliner Labels Shitkatapult. Ring hat immer wieder mit Ellen Allien kooperiert und sollte einmal sogar Gianna Nannini die Moderne beibringen. Während Modeselektor berüchtigt sind für ihre schweißtreibenden Gigs, glänzte Apparat bislang durch atmosphärische, melancholische Klanglandschaften. Auf ihrem gemeinsamen Debütalbum „Moderat“ (Bpitch Control) suchen die Herren von Modeselektor und Apparat nun gemeinsam den goldenen Mittelweg zwischen diesen beiden Welten. TO
INTERVIEW THOMAS WINKLER
taz: Seid Ihr eine Supergroup?
Gernot Bronsert: Was is’n des?
Sascha Ring: Definiere Supergroup.
Bekannte Musiker aus verschiedenen Bands eines Genres schließen sich zusammen, um ihre Musikrichtung neu zu erfinden.
Ring: Nein, wir sind einfach nur ein paar Kumpels, die mal zusammen Musik machen wollten.
Bronsert: Das ist Saschas typische künstliche Bescheidenheit. Aber natürlich ist es so: In dem Kosmos, in dem wir uns bewegen, der sich auch gar nicht so sehr in Deutschland abspielt, könnte man uns vielleicht wirklich als Supergroup sehen.
Sebastian Szary: Tatsächlich fühle ich mich momentan schon ein bisschen wie in einer Supergroup, weil wir gerade die Bühnenshow konzipieren. Da haben wir einen richtigen Stab und jede Menge Zeug, das wir mit auf Tour nehmen müssen.
Ring: Dass da insgesamt 15 Leute beteiligt sind, das ist für unsere Verhältnisse schon ein ungeheurer Aufwand. Und wenn Leute Schwächeanfälle bekommen, weil sie gerade an der DVD arbeiten, dann kommt einem das schon Supergroup-mäßig vor.
Spielt da die Sehnsucht nach dem Bandformat eine Rolle?
Bronsert: Würde ich schon sagen, ja. Aber das wäre dann ein moderneres, entwickeltes Bandformat. Schon weil es bei uns keine Instrumentenverteilung gibt. Wir sind alle gleichzeitig Musiker und Produzent. Jeder von uns hätte diese Platte theoretisch auch allein machen können.
Habt Ihr euch denn, wie es sich für eine Supergroup gehört, in der Detailarbeit verloren?
Bronsert: Das Album aufzunehmen war schon sehr aufwendig. Wir haben viel Zeit und Kraft in diese Platte gesteckt, wir haben uns ziemlich reingesteigert. Nicht dass wir uns sonst keine Mühe geben, aber diesmal haben wir uns echt doll Mühe gegeben. Man hört jeden Song wahrscheinlich 300-mal, bevor er fertig ist.
Ring: Man muss sich eben entscheiden, ob man mit fertigen Sounds arbeiten will, und guckt, wie die gerade reinpassen oder ob man jeden einzelnen Sound sorgfältig passend macht. Das kann dann schon mal passieren, dass man eine Stunde an einem einzelnen winzigen Sound rumbastelt.
Wie merkt man, wann ein Track fertig ist?
Ring: Tatsächlich ist man oft nicht mehr objektiv, wenn man ewig vor dem gleichen Loop sitzt. Da ist es ganz hilfreich, wenn man nicht allein ist. Manchmal kommt einfach jemand zur Tür rein und sagt: Das ist doch total fett. Unser Anspruch war aber, dass keiner von uns Kompromisse eingeht.
Bronsert: Sechs Ohren hören nun mal mehr als zwei. Und jeder hört auf was anderes. Das macht es natürlich komplizierter.
Ring: Außerdem ist es ja so: Das Sounddesign ist nun mal ein wichtiger Aspekt der Musik, die wir machen. Und die technologischen Möglichkeiten, die man heutzutage hat, die zwingen einen fast zu dieser Detailarbeit. Man kann heutzutage bis ins kleinste Detail auf alles Einfluss nehmen, was in so einem Track passiert – und davon will man natürlich auch Gebrauch machen. Allerdings kann man sich dadrin auch verlieren. Ich habe früher sogar noch viel detailliertere und verfrickeltere Musik gemacht.
Grenzt das bisweilen an Kontrollwahn?
Bronsert: Kontrollwahn würde ich das nicht nennen. Man hat wahrscheinlich zu viele Möglichkeiten, aber das meine ich jetzt gar nicht negativ. Und in diesen Möglichkeiten sucht man nach dem Klang, den man haben will.
Woher weiß man, was man sucht?
Bronsert: Das wussten wir eben nicht.
Ring: Aber das stimmt doch nicht. Wir haben wahnsinnig oft zusammengesessen und drüber gesprochen. Und wir waren uns einig, wir wollten eine Winterplatte machen, etwas Offenes, aber eher Dunkles.
Bronsert: Ja, wir wussten, was wir wollten, aber wir konnten es nicht in Worte fassen. Schlussendlich war der Weg das Ziel. Aber das hat uns auch eine ganze Menge Nerven gekostet.
Supergroups sind ja oft auch ein Symptom, dass etwas zu Ende geht, etwas unwiderruflich verschwindet.
Ring: Wie ist das gemeint? Dass die elektronische Musik im Sterben liegt? Ich habe nicht den Eindruck, dass wir gerade die letzten Zuckungen der elektronischen Musik erleben.
Szary: Ich, der ich immer noch regelmäßig in den Plattenladen gehe, habe eher festgestellt, dass sich seit einem Dreivierteljahr was tut, dass viele unglaublich gute Platten rauskommen.
Bronsert: Die sich überraschenderweise auch gut verkaufen. Es gibt so viele junge Leute, die mit einfachsten Mitteln was machen, die quasi aus dem Gameboy einen geilen Track rausholen.
Ring: Oder aus einem iPhone.
Bronsert: Die Industrie steckt vielleicht in der Krise, aber künstlerisch oder musikalisch kann ich keine Krise erkennen.
Szary: In Krisenzeiten sind die Leute doch umso kreativer.
Ring: Ich hab das Gefühl, dass mich diese Frage, ob die elektronische Musik in der Krise steckt, schon meine ganze Karriere lang begleitet. Vielleicht denken ja viele, dass das nicht so lange gut gehen kann. Aber wo ich bin, sind die Clubs voll. Das ist einfach ein Genre, das da ist und das es auch weiter geben wird.
Aber das Genre hat sich doch verändert, schon weil die Protagonisten immer älter werden. Zwei von euch dreien sind mittlerweile Väter. Da feiert man ja nicht mehr so exzessiv.
Bronsert: Stimmt. Alles, was Kleinkinder angeht, ist bei mir und Sebastian gerade sehr aktuell: Kindergarteneingewöhnung, U 1 bis U 9 und so was. Wir beide sind wie ein altes Ehepaar, wir haben sogar unsere Kinder fast zeitgleich bekommen. Früher waren wir die schlimmsten Nachtgestalten, heute fangen wir jeden Morgen um zehn an zu arbeiten. Während Sascha also noch sein Junggesellendasein in vollen Zügen genießt, haben wir unser Päckchen zu tragen. Dafür musste sich Sascha bei der Albumproduktion nach uns richten. Also kam Sascha zwar manchmal Montags zu uns ins Studio, aber schlief dann in der Ecke ein.
Während Ihr schon das Babyschwimmen hinter euch gebracht hattet.
Ring: Gernot geht zum Babyschwimmen, das ist wahr.
Bronsert: Ja, Kurs I, immer montagmorgens in der Schwimmhalle im Velodrom. Eines Tages stand ich da mit meinem kleinen Sohn unter der Dusche, und plötzlich sehe ich zwischen einer Horde Rentner Richie Hawtin auch unter der Dusche stehen, morgens um neun. Und der war schon fertig, der muss um sieben da aufgeschlagen sein. Einer der DJ-Dinosaurier und der ist ja auch kein Kind von Traurigkeit, und den trifft man montagmorgens im Schwimmbad? Da dachte ich: Das geht doch gar nicht, das ist doch total gegen das Klischee, das ist doch absurd.
Ring: Ja, das war schon interessant zu sehen, wie Kinder alles verändern. Ich bin immer noch ein ziemliches Partyschweinchen, während die beiden brav mit dem Taxi nach Hause fahren, wenn wir nach einem Wochenend-Gig in Tegel ankommen.
Die Kinder haben also die Umstände der Musikproduktion beeinflusst. Hört man das denn auch?
Alle: Nein.