: Wer wie was in Gaza
Eine Sesamstraßen-Kooperation zwischen Israel, Jordanien und den palästinensischen Autonomiegebieten soll zum Friedensprozess beitragen
von JUDITH LUIG
„Wer nicht fragt, bleibt dumm.“ So lehrt es das Titellied der deutschen Version von „Sesamstraße“. Der Aufruf an Kleinkinder, an scheinbar naturgesetzlichen Gegebenheiten zu rütteln, will sich erzieherisch auswirken. Alles soll man hinterfragen, Eltern, Pädagogen und sonstwie Mächtige. Nur bei den Machern selbst hapert es etwas mit den Informationen.
Vor vier Wochen ist eines der spektakulärsten Projekte der Sesamstraße angelaufen: eine israelisch-jordanisch-palästinensische Koproduktion mit Gesamtkosten von über 7,1 Millionen Euro, mitgetragen von verschiedenen Sponsoren.
Mehr als vier Jahre lang haben die Mitarbeiter der gemeinnützigen US-Organisation „Sesame Workshops“ mit Filmemachern und Pädagogen zusammengearbeitet, um das Fernsehprojekt zu realisieren, so meldet die Presseagentur AFP. Doch diese Information wollen die Verantwortlichen des Workshops nicht bestätigen. Überhaupt möchte „Sesame Workshops“ sich nicht dazu äußern, inhaltlich nicht und schon gar nicht über ihren Erfolg. „Es ist zu früh“, heißt es von offizieller Seite. „Wir werden unsere Einschätzung den Medien zu gegebener Zeit mitteilen.“ Die EU hatte das Projekt mit 2,5 Millionen Euro unterstützt, doch auch hier fragt man vergeblich nach ersten Einschätzungen der Serie. Allerdings wird verraten, dass die NGO „Sesame Workshop“ in den nächsten Monaten ein unabhängiges Evaluationsteam aufstellen möchte.
Warum so zögerlich? Eigentlich ist die Idee doch wunderbar: Gegen die täglichen Fernsehbilder von Hass, Gewalt und Zerstörung sollten sich die Sendungen wenden. In spielerischen Szenen sollten Gemeinsamkeiten herausgefunden werden. Die Planungen für den Joint-Venture-Ableger der „Sesamstraße“ begannen im hoffnungsfrohen Klima Anfang der Neunzigerjahre. Unabhängig vom politischen Prozess sollte eine gemeinsame, vorurteilsfreie Fernsehproduktion entstehen. Doch allein die Treffpunkte wurden bereits zum Politikum: Die Palästinenser durften nicht nach Israel einreisen, die Israelis hatten Bedenken, in die Autonomiegebiete zu kommen. Man traf sich also meist im Ausland. Der Ausbruch der zweiten Intifada im September 2000 warf die ohnehin schon schwierigen Planungen noch einmal zurück.
Auch der Name „Sesamstraße“ wurde jetzt zum Problem. In wessen Gebiet liegt diese Straße eigentlich? Wer bewohnt sie? Und außerdem: Die Straßen im Krisenherd mit ihren Absperrungen, Kontrollen und omnipräsenten Bombendrohungen dürften wohl kaum ein Platz für das versöhnliche Puppenspiel sein. Allein die Erkenntnis, dass jüdische wie muslimische Zottelpuppen sich von koscher geschlachteten Stofftieren ernähren, reicht wohl nicht aus, um Frieden zu stiften.
Das Team fand die erste salomonische Lösung: Die Sesamstraße wird zum utopischen Ort erklärt. „Sesam-Geschichten“ heißt die Sendung heute. Auch kulturelle Unterschiede behinderten den Fortschritt. Die Israelis hätten gerne eine Stoffeule auftreten lassen, aber dieses Tier symbolisiert in der arabischen Kultur Unglück. Schließlich wurde beschlossen: Jeder dreht seine eigenen Folgen unabhängig von den anderen. Aber kurze Clips der anderen Produktionen sollen in die eigenen mit einfließen.
Den Start machte „Sippuray Sumsum“ auf dem israelischen Kinderkanal „Hop!“ am 1. September. Hier haben die jüdischen Showstars sogar eine muslimische Nachbarin. Mit der – übrigens extrem westlich gekleideten – Ibtasim können die Zottelpuppen ihre kulturellen Unterschiede thematisieren. Dass diese Nachbarin allerdings palästinensische Wurzeln hat, fällt unter den Tisch. Die Sendung ist gefüllt mit Botschaften wie: „Es ist okay, anders zu sein“ oder „Liebe deinen Nachbarn“. Konkret auf die Situation zwischen Israel und den Autonomiegebieten gehen die „Sesam-Geschichten“ jedoch nicht ein. Auch werden keine Clips gezeigt, die beispielsweise in Jordanien gedreht wurden – eine Tatsache, die in Israel schon für viel Kritik an der Produktion sorgte. Angriffe kommen auch aus Palästina: Wie die israelische Zeitung Maariv berichtet, werfen die palästinensischen Produzenten der israelischen Armee vor, ihr Studio besetzt und Material zerstört zu haben.
Trotz all der Komplikation: Man hat es geschafft. „Sippuray Sumsum“ läuft. Der quirlige Noah geht dem ordentlichen Brosh seit dem 31. August regelmäßig auf die Nerven. Und „Hikayat Simsim“, wie die Sendung im jordanischen Fernsehen JTV und der palästinensischen Sendestation des Ma’an Netzwerkes heißt, startete Ende Oktober. Hier wird die Serie von den Machern auch zur Selbstkritik und zum Bruch mit den eigenen Stereotypen genutzt. Der palästinensische Hahn Kareem beispielsweise ironisiert Pünktlichkeits- und Traditionswahn, das quasslige, selbstbewusste Mädchen-Monster Haneen in leuchtend Orange, die manchmal auch als „Super-Haneen“ auftritt, steht für ein dynamisches Frauenbild. Und Jordanien zieht mit: Die unternehmungslustige Tonton steht hier gegen den pingeligen Juljul.
Angesichts der Lage im Nahen Osten ist das ein unglaublicher Erfolg. Hoffentlich kommt Noah auch mal aus Israel raus und trifft seine prädestinierte Freunde Haneen aus Palästina und Tonton aus Jordanien.