: Litauen bekommt breite Linkskoalition
Ministerpräsident Brazauskas nimmt Populisten in die Regierung auf. Opposition fürchtet Einfluss Moskaus
STOCKHOLM taz ■ Alle möglichen Koalitionsmodelle hatte Litauens sozialdemokratischer Ministerpräsident Algirdas Brazauskas für denkbar erklärt. Mit einer Ausnahme: Der populistische Millionär Viktor Uspaskich und seine neue „Arbeitspartei“ seien als Partner undenkbar. Doch das galt anscheinend nur bis zum Wahlabend. Als sich im Oktober nach der verheerenden Wahlniederlage für das sozialdemokratisch-sozialliberale Wahlbündnis „Arbeiten für Litauen“ bei den Koalitionsgesprächen mit der konservativen Opposition herausstellte, dass diese zwar prinzipiell einer „Regenbogen“-Koalition gegen Uspaskich aufgeschlossen gegenüberstanden, den Posten des Regierungschefs aber selbst besetzen wollten, galten die Vorwahlversprechen nicht mehr.
Uspaskich war nämlich bereit, einen Ministerpräsidenten Brazauskas zu akzeptieren, obwohl dieser Posten eigentlich seiner eigenen Partei, der eindeutigen Wahlgewinnerin, und damit ihm selbst zustehen würde. Doch da Staatspräsident Valdas Adamkus angekündigt hatte, den umstrittenen russischstämmigen Politiker keinesfalls mit der Regierungsbildung beauftragen zu wollen, dürfte es für Uspaskich nicht schwer gewesen sein, sich in einer sozialdemokratisch geführten Koalition einzuordnen.
Die hinter einer künftigen Regierung Brazauskas stehenden Parteien verfügen nun über 80 der 141 Parlamentssitze. Erstmals seit der Unabhängigkeit kommt in Litauen eine Koalition an die Macht, die bis zum äußersten linken Parteienspektrum reicht. Auch die linke Bauernpartei von Kazimiera Prunskiene soll nämlich mitregieren. Sie, die erste Ministerpräsidentin des unabhängigen Litauens, hatte es schon bei der Präsidentenwahl im Frühjahr unerwartet in die Stichwahl gegen Adamkus geschafft. Ihre und Uspaskichs Parteien hatten bei der Parlamentswahl vor allem jene WählerInnen angesprochen, für welche die Unabhängigkeit von der Sowjetunion und der EU-Beitritt entweder einen sozialen Abstieg bedeuteten, oder deren Erwartungen auf eine bessere Zukunft sich nicht erfüllt hatten. Vor allem auf dem Land ist der Wirtschaftsboom des wegen seines höchsten prozentuellen Wirtschaftswachstums in der EU als „baltischer Tiger“ bezeichneten Litauens bislang nahezu spurlos vorbeigegangen.
Die Linkskoalition wird nun vor der schweren Aufgabe stehen, ihre großzügigen Wahlversprechen auf Wiederaufbau des sozialen Netzes einzulösen. Von konservativer Seite wird Untergangsstimmung verbreitet: Die Exkommunisten Brazauskas und Prunskiene seien zusammen mit dem von russischen Wirtschaftsinteressen abhängigen Uspaskich nun dabei, das Land wieder in Abhängigkeit von Moskau zu führen. REINHARD WOLFF