Ist Sex mit Gleichaltrigen out?

Die ältere Frau und der jüngere Mann sind das neueste Rollenmodell auf dem Beziehungsmarkt. Hat es eine Chance gegen das etablierte Modell vom älteren Prominenten und der jungen Geliebten? Klar ist: Die Altersfrage ist das explosivste Schlachtfeld der Zukunft

von BARBARA DRIBBUSCH

Die Bilder der US-Schauspielerin Demi Moore und ihres 15 Jahre jüngeren Liebhabers Ashton Kutcher zieren die Klatschspalten, der britische Film „The Mother“ über die Liebe einer alten Frau zum Freund ihrer Tochter ruft widerstreitende Kritiken auf den Plan, die Altfeministin Germaine Greer verschafft sich mit ihrem Bildband „Der Knabe“ neue Aufmerksamkeit.

Die ältere Frau und ihr junger Liebhaber: Sie werden als Partnerschaftsmodell der Zukunft gehandelt. Die Frage lautet: Hat das mit der Lebenswirklichkeit der meisten Leute überhaupt irgendwas zu tun, oder handelt es sich hier vor allem um einen feministischen Gegenschlag?

Um die Frage zu beantworten, muss man sich die Rollenmodelle anschauen, die üblicherweise durch die Presse geistern. Da ist der ältere prominente Schauspieler, Fußballer oder Politiker, der seine Ehefrau gegen eine jüngere Geliebte eintauscht, längst zum Klischee geworden. Der Popproduzent Dieter Bohlen tritt mit seiner erheblich jüngeren Freundin auf Bällen auf, Bundeskanzler Gerhard Schröder hat seine Drittfrau Hiltrud gegen die jüngere Viertfrau Doris eingetauscht, und Außenminister Joschka Fischer begann nach seiner vierten Scheidung von einer 34-Jährigen eine Liebschaft mit einer 28-Jährigen.

Demgegenüber ist das umgekehrte Modell erheblich seltener zu sehen und deswegen spannender. Die Popsängerinnen Nena Kerner und Inga Humpe haben erheblich jüngere Freunde, die Schauspielerinnen Hannelore Hoger und Hannelore Elsner hatten oder haben jüngere Liebhaber. Eine Angela Merkel, die beispielsweise mit einem ehemaligen Bodyguard als neuen Lover auf Bällen auftaucht, wäre eine wirkliche Sensation.

Wer leidet mehr?

Der Reiz an diesen Rollenmodellen liegt darin, dass sich daran ein heimlicher Geschlechterkampf entzündet – die Frage nämlich, wer von Frauen oder Männern mehr unter dem Älterwerden zu leiden hat und wer nicht.

Wer durch beruflichen Erfolg seine Chancen auf dem Partnerschaftsmarkt erhöhen kann, gilt als Gewinner in einer alternden Gesellschaft. Wer hingegen vor allem durch jugendliche Schönheit Liebe und Zuwendung erheischt, ist die Verliererin oder der Verlierer. Denn diese Eigenschaften sind die ersten im Leben, die vergehen. Die Altersfrage ist das wichtigste Feld im künftigen Geschlechterkampf.

Die Lebenswirklichkeit der meisten Leute hat sich dabei allerdings kaum verändert – und da ist Sex mit Gleichaltrigen immer noch die Regel, wie eine Recherche beim Statistischen Bundesamt ergibt.

Betrachtet man beispielsweise die Altersverteilung bei unverheirateten Paaren, so widerspricht das Bild dem Klischee in der Boulevardpresse. Von den Männern im Alter zwischen 50 und 55 Jahren in nichtehelichen Lebensgemeinschaften haben zwei Drittel eine Freundin, die älter ist als 45 Jahre. Dieser Anteil ist in zehn Jahren etwa gleichgeblieben.

In den höheren Altersgruppen sind die Zahlen noch überraschender: Bei den über 60-jährigen Männern in „wilden Ehen“ haben rund 70 Prozent eine Gefährtin, die ebenfalls über 60 ist. Auch diese Zahlen haben sich kaum verändert.

Der Anteil der Frauen, die einen jüngeren Partner haben, ist dabei nach wie vor gering: Von den 35- bis 45-jährigen Frauen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften hat nur jede siebte einen jüngeren Freund, Tendenz gleichbleibend.

Heiraten Männer allerdings in höherem Alter, so stimmt das Klischee in den Boulevardzeitungen: Unter den Männern, die im Alter von 50 Jahren heiraten, ehelicht fast jeder dritte eine um zehn oder mehr Jahre jüngere Frau. Offenbar besteht bei diesen Paaren mit großem Altersunterschied ein stärkerer Wunsch nach ehelicher Absicherung. Die meisten Ehen werden jedoch in jüngeren Jahren geschlossen – zwischen Liebenden mit geringem Altersunterschied. „Späte Scheidungen“ nach 20 oder mehr Jahren sind nach wie vor eher selten, wobei der Anteil dieser Trennungen allerdings steigt. Ehepaare mit geringem Altersunterschied haben jedoch gute Chancen, beisammenzubleiben, wenn sie die ersten fünf, sechs Jahre überstanden haben. „Altershomogamie“ vermindere „das Scheidungsrisiko“, erklärt Jürgen Dorbritz vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden.

Sex mit Gleichaltrigen ist also keineswegs out. Trotzdem bauen die Medienberichte über altersungleiche prominente Paare eine Spannung auf, die nicht leicht zu lösen ist. Ein Spiegel-Autor kommentierte zu Joschka Fischers neuer Freundin, „die Nation“ schaue da „ein bisschen neidisch“ zu. Der Spiegel galt zwar in Geschlechterfragen immer schon als etwas altertümlich, trotzdem gruselt es manche Frau bei solchen Sprüchen. Denn damit wird ein Wertesystem etabliert, das das System der heterosexuellen Bindung gründlich entromantisiert. Der Gedanke, in jungen Jahren noch schnell das sexuelle Überangebot nutzen zu müssen, weil frau ab 30 von Jahr zu Jahr an Wert verliert – dieser Gedanke macht die heterosexuelle Partnerschaft ungefähr so attraktiv wie die Wüste Gobi. Wenn das System wirklich so platt wäre – wie könnte frau sich dann überhaupt noch in einen Mann verlieben?

Deswegen hilft es auch nur bedingt, den Spieß einfach umzudrehen und nun zu behaupten, Frauen müssten sich künftig verstärkt jüngeren Männern zuwenden und deren „Knackärsche“ bewundern, wie es in Illustriertenartikeln heißt. Ironischerweise hat sich unlängst ausgerechnet ein Mann gegen diese Abwertung zum Sexobjekt gewehrt. Es ist der Schauspieler Björn Andresen, der als der schöne „Tadzio“ in der Thomas-Mann-Verfilmung „Tod in Venedig“ vor vielen Jahren schlagartig berühmt wurde. Die australische Feministin Germaine Greer hob das jugendliche Porträt Andresens auf das Cover ihres Bildbandes und textete dazu: „Ich nehme für alle Frauen das Recht in Anspruch, an der flüchtigen Schönheit des Knaben Gefallen zu finden.“

Die Sache hat nur einen Haken: Andresen hat als junger Mann sehr darunter gelitten, von der Umwelt nur auf seine hübsche, jugendliche Erscheinung reduziert zu werden. „Niemand interessiert sich für deine Träume, deine Ambitionen“, beklagt er heute. Nach dem plötzlichen Weltruhm als Knabenschönheit kostete es ihn sehr viel Kraft, in späteren Jahren als ganz normaler kleiner Musiker ausreichend Selbstwertgefühl zu entwickeln. Andresen bemängelt, dass Greer ihn nicht fragte, bevor sie sein Knaben-Konterfei verkaufsfördernd auf den Einband ihres Buches hob. „Ich hätte nein gesagt“, erklärt er.

Wer wen zum Objekt machen darf – dahinter steckt jedoch nicht nur eine Machtfrage. Es werden auch deswegen immer neue Rollenmodelle auf den Beziehungsmarkt geworfen, um Frauen und Männern mehr Optionen zu eröffnen, Hoffnungen auf Zuwendung und Liebe. Deshalb herrscht auch so große Nachfrage nach dem Rollenmodell der älteren Frau mit dem jüngeren Mann – es erweitert die Möglichkeiten. Die Kunst besteht dabei letzten Endes wohl darin, die Freiheiten so nützen zu können, dass sie nicht zu neuen Einsamkeiten werden.