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Archiv-Artikel

Düstere Aussichten

Egal, wer Arafat folgt: Sein Handlungsspielraum ist gering – wegen der gestärkten Islamisten und Israels Besatzung

KAIRO taz ■ Was bedeutet das Ende der Ära des Palästinenserchefs Jassir Arafats für den „Nahost-Friedensprozess“? Die Regierungen Bush und Scharon haben in den letzten Jahren stets erklärt, dass Arafat das Haupthindernis für einen Ausgleich zwischen Israelis und Palästinensern darstelle. Jetzt, so argumentieren sie, könnte sich bei seinen Nachfolgern erneut ein potenzieller Verhandlungspartner finden. Um das zu unterstreichen, deuten sie immer wieder auf Ahmed Kurei, den jetzigen palästinensischen Premier, dessen Vorgänger Mahmud Abbas und die ehemaligen palästinensischen Sicherheitschefs Mohammed Dahlan und Dschibril Radschub, die bereits mit Israel an verschiedenen Punkten verhandelt haben und als „pragmatisch“ gelten. Sie alle haben den militärischen Aspekt der Intifada als Fehler bezeichnet und Arafat immer wieder aufgerufen, für Ordnung zu sorgen.

Doch dann gibt es da die andere Seite des Spektrums, die argumentiert, dass Arafat der einzige ist, der eine friedliche Koexistenz mit Israel aushandeln und diese dann auch hätte durchsetzen können. Wer sonst kann den palästinensischen Flüchtlingen erklären, dass sie sich damit abfinden sollen, dass sie kein Rückkehrrecht haben werden. Wer, außer dem nationalen Symbol Arafat, kann sich hinstellen und seinen Landsleuten sagen, dass ein Ausgleich mit Israel bedeutet, dass sie auf drei Viertel ihres ursprünglichen Territoriums verzichten sollen, um, wenn sie Glück haben, auf dem letzten Viertel in Gaza und im Westjordanland einen Staat zu gründen.

Bietet nun Arafats Tod neue Chancen mit neuen Verhandlungspartnern, oder ist Arafat nach dem ermordeten israelischen Premier Jitzhak Rabin der Zweite, der die Zweistaatenlösung, also die Idee eines palästinensischen Staates, friedlich an der Seite Israels, mit ins Grab nimmt? Egal, welchem Argument man sich anschließen will, Tatsache ist, dass ein Nachfolger Arafats, wie immer er heißen wird, wenig Spielraum haben wird, zu manövrieren. Solange sich die grundsätzlichen politischen Bedingungen, sprich die israelische Besatzung des Gaza-Streifens und des Westjordanlandes, nicht ändern, hat auch Arafats Nachfolger kaum Möglichkeiten, politisch zu agieren. Ob Bewegung in den Friedensprozess kommt, hängt also nicht so sehr davon ab, ob Arafat in Paris stirbt, sondern vielmehr davon, was der israelische Premier Ariel Scharon in Israel und der für weitere vier Jahre gewählte George W. Bush in Washington unternehmen werden. Dass Scharon den Gaza-Streifen räumen will, ist dabei eine positive Entwicklung. Dass er dafür im Gegenzug den israelischen Griff auf das Westjordanland verstärken will, wie sein Mauerbau beweist, verheißt nichts Gutes.

Unter derartigen Bedingungen spricht eher vieles dafür, dass der Nachfolger Arafats einer radikalisierten palästinensischen Öffentlichkeit gegenüberstehen wird, die er nicht ignorieren kann. Wer immer als Nachfolger bestimmt wird, er muss sich möglichst schnell durch palästinensische Wahlen legitimieren lassen. Macht ein Kurei oder Abbas dann Zugeständnisse an Israel, ohne im Gegenzug ein Ende der Besatzung zu erlangen, mag er zwar international und besonders in den USA als Pragmatiker gefeiert werden, bei der ersten palästinensischen Wahl fände seine Amtszeit ein jähes Ende. Vorausgesetzt natürlich, Washington meint es mit seiner Forderung nach demokratischer Reformierung der palästinensischen Institutionen tatsächlich ernst und Israel schafft auf dem von ihm kontrollierten Territorium wirklich die Bedingungen für freie Wahlen, deren Grundlage freie palästinensische Bewegungsfreiheit darstellen. Etwas, von dem im Westjordanland derzeit keine Rede sein kann.

In echt demokratisch reformierten Institutionen, gegenüber denen Arafats Nachfolger rechenschaftspflichtig wäre, würde auch die islamistische Hamas, wenn sie an den Wahlen teilnehmen würde, eine große Rolle spielen. Hamas hat jetzt schon deutlich gemacht, dass sie nicht an einer Übernahme der Macht in der Post-Arafat-Zeit interessiert ist, dass sie aber in den palästinensischen Institutionen angemessen vertreten sein will. „Hamas hätte lieber Einfluss auf die neue politische Führung als den Wunsch, sie selbst zu übernehmen“, erklärt der Hamas-Experte und Professor an der Islamischen Universität in Gaza, Atef Otwan. Angesichts der Tatsache, dass der Tod der Ikone Arafats auch dazu führen wird, dass viele Palästinenser von der nationalistischen Fatah Arafats zur islamistischen Hamas wechseln werden, wäre es für den Nachfolger Arafats ein großer Fehler, Hamas als schwergewichtigen politischen Faktor komplett zu ignorieren.

Wer immer Arafats Nachfolger werden wird, es gibt ein Kunststück, das von ihm nicht erwartet werden kann: seinen Landsleuten zu erklären, dass eine fortdauernde Besatzung friedlich vonstatten gehen und möglichst nicht gestört werden soll. KARIM EL-GAWHARY