: „Zu viel Washington, zu wenig Brüssel“
Tony Blair wird sich jetzt stärker für eine gemeinsame Außenpolitik Europas einsetzen, meint der EU-Experte Everts
taz: Herr Everts, ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, an dem Tony Blair sich auf eine neue Außenpolitik besinnt? Eine Außenpolitik, die sich mehr an Europa orientiert, da er seinen Einfluss in der EU nicht verlieren will?
Stefen Everts: Ja. In den vergangenen zwei Jahren hat sich ein Ungleichgewicht entwickelt. Zwar hat Blair wie alle britischen Premierminister zuvor sowohl Wert auf das besondere Verhältnis zu den USA als auch auf Einfluss in Europa gelegt, aber in Wahrheit hat er sich an die Vereinigten Staaten gebunden.
Was hat der britische Premierminister dafür als Gegenleistung bekommen?
Nicht viel. Blair konnte seinen Einfluss nicht nutzen, um Bush in eine bestimmte Richtung zu lenken, sei es bei der Irakfrage, sei es bei Palästina oder beim Handelskrieg mit der EU. Blair ist Bush in den Irakkrieg gefolgt, aber Bush hört nicht auf Blair. Das ist eine explosive Mischung für Blair. Wäre es im Irak besser gelaufen, würden wir jetzt eine andere Diskussion führen. Aber weder der Irak noch Palästina sind einer Lösung nahe.
Doch welche Chancen hat eine eigenständige europäische Verteidigungspolitik? Wie wird sich Blair beim Streit zwischen der EU und den USA verhalten?
Ich glaube, das Schlimmste ist vorbei, man arbeitet an einer Einigung. Beide Seiten haben in bestimmten Punkten zurückgesteckt. Der Iran ist ein viel größerer Streitpunkt. US-Außenminister Colin Powell hat den Europäern vorgeworfen, sie verhielten sich gegenüber Teheran zu nachsichtig. Die EU lehnt die geforderten Sanktionen gegen den Iran jedoch ab, weil die iranische Regierung Versprechungen gemacht hat. Im Fall von Sanktionen gäbe es für sie keinen Anreiz mehr, die Versprechen zu erfüllen. Deshalb will die EU der Sache eine Chance geben, und Blair steht dabei klar aufseiten der Europäer.
Kann Tony Blair eine Rolle bei der Überwindung der Spaltung zwischen „neuem“ und „altem“ Europa spielen?
Auch hier ist das Schlimmste überstanden, glaube ich. Bei der Rhethorik sind sowohl Spanier und Italiener als auch die Polen über das Ziel hinausgeschossen, und man hat eingesehen, dass dies für alle schädlich ist. Blair muss aber mehr Ambitionen haben, was seine Rolle in Europa angeht. Bei der europäischen Verteidigungpolitik läuft ohne Großbritannien sowieso nichts. Aber er muss mehr Verantwortung übernehmen und die anderen zum Handeln bewegen, sei es im Nahen Osten, bei der Aidskrise in Afrika oder in Osteuropa. Und britische Minister müssen endlich auch mal öffentlich sagen, dass sie mit der EU in vielen Punkten, zum Beispiel in der Iranfrage, übereinstimmen. Bisher ist da zu viel Washington und zu wenig Brüssel.
Kann der Premierminister dann als Gegenleistung von der EU fordern, dass sie dafür nun mehr Aufgaben im Irak übernimmt?
Das ist schwierig, der richtige Zeitpunkt dafür ist verstrichen. Wenn Bush und Blair den beschleunigten Terminplan für den Irak gleich nach dem Krieg vorgeschlagen hätten, wären die Chancen besser gewesen, sie hätten möglicherweise bei der EU Konzessionen herausholen können. Dafür ist es jetzt zu spät, und das ist tragisch. Die Sicherheitslage im Irak hat sich verschlechtert, sodass man kaum für eine Rolle Deutschlands oder anderer Länder im Irak argumentieren kann. Der Zeitplan für den Krieg wurde vom Pentagon bestimmt, weil die Truppen bereit waren und man angeblich nicht länger warten konnte. Und nun wird der beschleunigte Zeitplan für den Irak vom Wahlkapf in den USA bestimmt.
INTERVIEW: RALF SOTSCHECK
Hinweis: STEVEN EVERTS, 33, ist Experte für Außenpolitik beim Centre for European Reform in London