: Bremen will Sitzenbleiberquote drücken
Schwache SchülerInnen sollen nicht abgeschoben werden – das schreibt die neue Zeugnis- und Versetzungsordnung fest. Geld gibt es dafür nicht
Bremen taz ■ Die Schulen sollen mehr fördern, so dass SchülerInnen weniger sitzen bleiben oder die Schulform wechseln müssen. Das ist das Ziel der neuen Zeugnis- und Versetzungsordnung, von der die Schulen in diesen Wochen Kenntnis nehmen.
In der Mitte des Schuljahres – laut neuer Zeugnisordnung „vor den Osterferien“ – soll es Klassenkonferenzen für die Sek I (Klassen 5 bis 10) geben, in denen für SchülerInnen, deren Leistungen in einem Fach „auf die Note mangelhaft tendieren“, Fördermaßnahmen „zu beschließen und einzuleiten“ sind. „Umgehend nach der Zeugniskonferenz“ soll entsprechende Förderung beginnen. Fachlehrer müssen schriftlich darlegen, warum eine Leistung nur mangelhaft oder schlechter bewertet wurde.
Die ersten Reaktionen auf die neue Zeugnisordnung waren in den Schulen einhellig ablehnend: Zusätzliche Förderung erforderten zusätzliche Lehrkräfte, heißt es. Mehr Lehrerstunden oder mehr Geld aber gibt es nicht – „binnendifferenzierende Maßnahmen im Regelunterricht“ sollen genügen. Schulinterne zusätzliche Angebote kann es nur „im Rahmen der verfügbaren Ressourcen“ geben. Aufgrund der Kürzungen der letzten Jahre wird aber kaum eine Schule freie Mittel haben.
An der Klassenkonferenz nehmen Klassen- und Elternsprecher teil, die Förderdebatte wird damit künftig transparent. Fördermaßnahmen müssen künftig aktenkundig nachprüfbar sein. Werden sie nicht eingeleitet, so heißt es jetzt in der Versetzungsordnung, „ist zu versetzen“, Zudem muss die Behörde „über eine Versetzung wegen unterbliebener Einleitung von Fördermaßnahmen“ informiert werden.
Für versetzungsgefährdete SchülerInnen der Jahrgangsstufen 7 und 8 soll es künftig in den Osterferien 8- bis 10-tägige Förderkurse geben, in denen fachliche Förderung mit persönlichkeitsstärkenden Aktivitäten gekoppelt wird. Die Behörde soll diese Kurse für insgesamt etwa 100 SchülerInnen anbieten. Der Ferienkurs muss Bestandteil individueller Förderpläne sein, die beispielsweise aus der Diagnose der Zeugniskonferenz zum Halbjahreswechsel entstehen.
Haben Kinder ihre Versetzung dennoch knapp verpasst, konnten sie bisher schon eine Prüfung zur Nachversetzung in einem mit „mangelhaft“ benoteten Fach ablegen. Zur Vorbereitung dieser Nachprüfung soll es künftig in den Sommerferien zweiwöchige Förderkurse geben, die eine gezielte intensive Aufarbeitung von Lücken ermöglichen sollen. Auch SchülerInnen, die die Versetzung nur knapp geschafft haben, können diese zusätzliche Unterstützung bekommen. Erste Schätzungen der Bildungsbehörde gehen von 5 bis 8 Fördergruppen mit je 12 SchülerInnen für die Stadt Bremen aus.
Laut PISA-E-Bericht kommt es für mehr als die Hälfte der 15-Jährigen in Bremen zu schulischen Misserfolgen, die auch für Eltern schwer zu verkraften sind. „Dies bedeutet, dass das Maß der strukturbedingten Demütigungen hier ganz besonders hoch ist“, heißt es in einem Bericht der Behörde über die Pisa-Ergebnisse. Die These, Fehleinstufungen in höheren Bildungsgängen seien der Grund, erscheint den Experten der Bildungsbehörde dabei als wenig plausibel: Bremen hat mit 29,6 Prozent die niedrigste Gymnasialquote unter den Stadtstaaten und liegt kaum über der Baden-Württembergs.
Die Anforderungen für Versetzung werden gleichzeitig verschärft – die Vergleichbarkeit der Leistungen bei zentraler Abschlussprüfungen erlauben es immer weniger, auf Schwächen einzelner SchülerInnen Rücksicht zu nehmen. Während man bisher bei einem „Ausgleich“ und zwei Fächern mit mangelhaft noch versetzt werden konnte, wird es das in Zukunft nicht mehr geben: In „Kernfächern“ sollen eine Sechs oder zwei Fünfen zur Begründung der Nichtversetzung reichen, nur in den übrigen Fächern soll ein „Ausgleich“ denkbar sein. kawe