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Archiv-Artikel

US-Marines sehen in Falludscha „Rattennest“

Die irakische „Stadt der Moscheen“ ist zum Symbol des gewaltsamen Widerstands gegen die US-Besatzer geworden

BERLIN taz ■ Eine Großoffensive der US-Streitkräfte auf die Stadt Falludscha scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Am Samstag flog die US-Luftwaffe die schwersten Angriffe seit sechs Monaten. Gestern kamen bei Artillerieangriffen und Schießereien nach US-Angaben 16 Aufständische ums Leben.

Mehr als 10.000 US-Soldaten wurden in Stellung gebracht und warten auf den Angriffsbefehl des irakischen Ministerpräsidenten Ajad Allawi. „Falludscha ist ein Krebsgeschwür“, sagt der US-Generalmajor Richard Natonski von den Marines der BBC. „Das ist ein Rattennest, aber wenn wir hineingeschickt werden, um es auszuräuchern, werden wir das tun.“

Das in der US-Terminologie so genannte Rattennest, das wegen seiner rund 200 sunnitischen Gotteshäuser auch die „Stadt der Moscheen“ genannt wird und 65 Kilometer westlich der Hauptstadt Bagdad liegt, ist mittlerweile zum Symbol und Zentrum des gewaltsamen Widerstands gegen die US-Besatzung mutiert. So soll sich hier der jordanische Extremist Abu Mussab al-Sarkawi mit seinen Anhängern versteckt halten. Erst kürzlich bezeichnete Regierungschef Allawi Falludscha als sichere Basis für ausländische Kämpfer, die in den Irak eingesickert seien, um gegen die Besatzungstruppen zu kämpfen. Seit Wochen wird die einst 300.000 Einwohner zählende Stadt, die von der Außenwelt abgeriegelt ist, fast täglich bombardiert.

Dass sich ausgerechnet hier der Hass gegen die Besatzer Bahn bricht, hat nicht zuletzt auch historische Gründe. So entwickelte sich die Stadt während der 23-jährigen Herrschaft Saddam Husseins zu einer wichtigen Basis der Baathisten. Der sunnitische Diktator rekrutierte hier zahlreiche Offiziere seiner Republikanischen Garde.

Sollte bei einigen Einwohnern dennoch eine anfängliche Sympathie für die Besatzer bestanden haben, so wurde diese seit der Invasion vor eineinhalb Jahren konsequent verspielt: So feuerten US-Soldaten am 28. April 2003 in Menschenansammlungen in der Stadt. Die Bilanz: 18 Tote sowie 75 zum Teil schwer Verletzte. Die Lage eskalierte am 31. März, als Aufständische vier amerikanische Söldner töteten. Ein wütender Mob schleifte die Leichen durch die Straßen und hängte zwei der Getöteten an einer Brücke auf.

Kurz darauf wurde die Stadt abgeriegelt und von US-Streitkräften belagert. Die übergaben die Verantwortung für die Stadt später der neu formierten „Falludscha-Brigade“ mit Offizieren der aufgelösten irakischen Streitkräfte. Doch die schaffte es von Anfang an nicht, die Stadt militärisch unter Kontrolle zu bekommen, anders als die verschiedenen rivalisierenden Clans, die sich zumindest in der Bekämpfung eines gemeinsamen Feindes einig sind. Unbestätigten Angaben zufolge sollen bereits bis zu 200.000 Menschen aus der Stadt geflüchtet sein, wozu sie von den US-Truppen auch dringendst aufgefordert wurden. Der Countdown läuft. BARBARA OERTEL