: Stille nach dem Castor-Tod
Die Stimmung war fröhlich bei den Gegnern des Atomtransports. Der Castor lag in Frankreich hinter seinem Zeitplan. Dann kam die Nachricht, dass ein Demonstrant von dem Zug überrollt wurde
AUS DANNENBERGMARCO CARINI
Zunächst war alles wie immer. Sogar etwas fröhlicher. Denn im Dannenberger Infozelt der Anti-AKW-Gruppen sorgte die Nachricht, dass der Castor in Frankreich schon über eine Stunde zum Stillstand gezwungen wurde, für Jubel. Mehrere Umweltaktivisten hatten sich unweit von Nancy mittels zuvor unter den Gleisen verankerter Rohre an den Schienen angekettet, die der Zug mit zwölf Behältern voll hochradioaktiver Glaskokillen auf seiner Fahrt nach Deutschland passieren muss.
Doch dann kam die entsetzliche Nachricht, ein Demonstrant sei von dem Castor-Zug überrollt worden und habe beide Beine verloren. Ein Sanitäterteam kämpfe um sein Leben. Kurze Zeit später wurde bekannt, der junge Mann sei gestorben. Was das für die Protestaktionen der kommenden Tage im Wendland bedeutet, war gestern noch unklar. Eine für den Abend geplante Veranstaltung wurde zur Trauerkundgebung.
Über Wochen haben sich gestern beide Seiten planmäßig auf den Castor-Transport vorbereitet: Polizei und Bundesgrenzschutz ihre Einsatzpläne geschmiedet, Umweltschützer und Atomgegner ihre Aktionen vorbereitet, mit denen die strahlende Fracht auf ihrem Weg ins Atommülllager Gorleben immer wieder aufgehalten werden soll.
Der Dannenberger Verladebahnhof, auf dem die Atommüllbehälter auf mehrere Tieflader umgesetzt werden sollen, ist vom Bundesgrenzschutz kleinräumig abgeriegelt. Beiderseits der Gleise türmt sich Natodraht. Im ganzen Wendland patrouillierten olivgrüne und grünweiße Mannschaftswagen. 12.000 Polizeibeamte sind im Einsatz.
Die Atomkraftgegner hingegen hatten mit einer mit über 5.000 Teilnehmern unerwartet gut besuchten Auftaktdemo am Samstag ein erstes Signal gesetzt, dass der Castor-Widerstand nicht bröckelt. Metzingen, ein kleiner Ort unweit der Bahnstrecke, wurde komplett in ein Scheunen-Camp verwandelt.
Niemand weiß, wie viele aktionsbereite Menschen sich in der Region befinden und ob sich ihre Zahl durch den Unfall verändert. Der Widerstand ist dezentral organisiert, seine Strategien und Brennpunkte gehören zu den am besten gehüteten Geheimnissen. Das Lüneburger Oberverwaltungsgericht hatte am Samstag ein umfassendes Versammlungsverbot der Bezirksregierung bestätigt, die jede Demonstration auf der Transportstrecke untersagt hatte.
Kurzzeitig keimte sogar die Hoffnung auf, die ganzen Vorbereitungen umsonst gemacht zu haben. Die Castor-Behälter, die am Samstag um 21 Uhr die französische Wideraufbereitungsanlage in La Hague verlassen haben, sind offenbar falsch deklariert: Der auf den Begleitpapieren ausgewiesene Inhalt weist keinen in Glaskokillen eingeschmolzenen Atommüll aus, wie er sich in den Behältern befindet und in der gültigen Transportgenehmigung beschrieben wird, sondern abgebrannte Brennelemente.
„Ein Transport mit falschen Frachtpapieren darf aus rechtlichen Gründen die deutsche Grenze nicht passieren“, hofft Dieter Melk von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Eine Erklärung der niedersächsischen Polizei allerdings zerstört diese Illusion schnell: Die Falschdeklaration sei nach amtlicher Einschätzung „ohne rechtliche Relevanz“.
Neben dem Demonstranten in Frankreich wurden auch sechs Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS) in Baden-Württemberg im Zusammenhang mit dem Castor-Transport verletzt. Wie der BGS mitteilte, musste der Konvoi aus sechs Fahrzeugen auf der Autobahn 8 bei Pforzheim wegen eines Staus halten. Ein Lastwagenfahrer bemerkte die stehenden Fahrzeuge allerdings zu spät und fuhr auf das Stauende auf. Durch die Wucht des Aufpralls wurden drei BGS-Fahrzeuge ineinander geschoben. Ein Beamter wurde schwer, die anderen leicht verletzt. Der Lastwagenfahrer erlitt ebenfalls leichte Verletzungen.