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Archiv-Artikel

Ein leerer Sockel als Denkzeichen

Ein neues Denkmal für den Kommunisten Karl Liebknecht in Berlin besteht nur aus einem alten Sockel, den nie ein Statue krönte. Er stand bis zum Mauerfall auf dem Todesstreifen

BERLIN taz ■ In Berlin ein Denkmal aufzustellen, gehört zu den schwierigeren Unterfangen, wie jüngst am entstehenden Holocaust-Mahnmal zu beobachten war. Doch gestern hat die Stadt für die üblichen geschichtspolitischen Dilemmata eine fast geniale, sagen wir dekonstruktivistische Lösung gefunden: ein leeres Denkmal.

In Anwesenheit des Kultursenators Thomas Flierl (PDS) wurde zwischen den neuen Bürohochhäusern des Potsdamer Platzes der Sockel eines früheren Denkmals für den Kommunisten Karl Liebknecht enthüllt. Ein leerer Sockel, wohlgemerkt, den übrigens nie eine Statue krönte.

Genau hier fand, mitten im Krieg, am 1. Mai 1916 unter der Losung „Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!“ eine Demonstration statt, die Liebknecht organisiert hatte. Der Sohn des SPD-Urgesteins Wilhelm Liebknecht war der wohl wichtigste Pazifist des Kaiserreichs. Als einziger Reichstagsabgeordneter stimmte er 1914 gegen die Kriegskredite zur Finanzierung des deutschen Angriffs.

Kurz vor der Demonstration wurde Liebknecht aus seiner SPD-Faktion im Reichstag wegen radikaler Kritik an deren Politik ausgeschlossen. Wegen seines pazifistischen Engagements wurde Liebknecht unter dem Vorwurf des Hochverrats zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Kaum wieder in Freiheit, engagierte er sich für die Revolution im November 1918, rief, als Zweiter, die (Sozialistische) Republik aus, gründete die KPD mit und war einer der Führer des kommunistischen Spartakus-Aufstands gegen die entstehende bürgerliche Demokratie. Rechtsradikale Soldaten ermordeten ihn und seine Genossin Rosa Luxemburg in der Nacht zum 16. Januar 1919.

Das SED-Regime richtete, in der Nachfolge der KPD, 1951 anlässlich seines 80. Geburtstags den Sockel für Liebknecht auf, konnte sich aber bis 1961 nicht auf die Gestalt der Statue einigen. Andere Projekte wie ein Denkmal für den Arbeiterführer Ernst Thälmann hatten Vorrang, so Flierl. Dann kam der Mauerbau dazwischen, auf den Tag genau zehn Jahre nach dem Sockelaufbau, und der Sockel stand plötzlich mitten auf dem Todesstreifen der Mauer.

Nach dem Fall der Mauer verhinderte eine Privatinitiative die Zerstörung des Sockels, der seit 1995 im Steindepot der Stadt lagerte. Flierl sagte gestern bei der Enthüllung des restaurierten Sockels und einer Gedenktafel, die das pazifistische Engagement Liebknechts betont: „Die Geschichte der gescheiterten Denkmalssetzung wird selbst zum Denkzeichen.“ Die Gedenkkultur zieht eine weitere Schleife.

PHILIPP GESSLER