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Archiv-Artikel

Der Traumjob im Irak

BILLIGER SCHUTZ

Der Krieg im Irak ist der am meisten privatisierte Krieg in der jüngeren Geschichte. Seit der Invasion 2003 hat das US-Verteidigungsministerium Verträge an private Firmen im Gesamtwert von geschätzten 100 Milliarden Dollar vergeben. Sie erbringen nicht nur einfache Dienstleistungen wie Waschen und Kochen, sondern stellen auch Wachmänner und Personenschützer. Bereits jetzt gibt es im Irak mehr private Sicherheitskräfte als US-Soldaten. Zurzeit sind dort rund 142.000 US-Soldaten stationiert. Ab 2010 sollen es nur noch 35.000 bis 50.000 sein, für 2011 planen die USA den endgültigen Truppenabzug. Jeder fünfte Dollar, den die US-Regierung im Irak ausgibt, wandert in die Taschen von Privatfirmen, sagt ein Bericht des amerikanischen Congressional Budget Office. Laut dem irakischen Verband privater Sicherheitsfirmen sind von 50.000 registrierten Wachmännern nur 5.000 Amerikaner, 15.000 sind Iraker und 30.000 kommen aus Billiglohnländern wie Nepal, Chile oder Uganda. S. Schl.

AUS KAMPALA SIMONE SCHLINDWEIN

John Onyango* verlässt die Villa der Sicherheitsfirma Foto Services im Schickeriaviertel der ugandischen Hauptstadt Kampala. Sofort wird er von jungen Männern umringt. Zu Hunderten lungern sie vor der Eingangspforte herum. „Wie ist es gelaufen?“, fragen sie. Onyango zwinkert, tippt auf seine Brusttasche. Dort steckt sein neuer Arbeitsvertrag. „Ich seh euch dann im Irak!“ Er lacht und schlurft davon. Neidische Blicke durchbohren seinen Rücken.

Der 26-jährige Ugander hat es geschafft. Von seinem Job träumen tausende Afrikaner: Seit einem Jahr arbeitet Onyango als Sicherheitsmann im Irak. Am Eingangstor des amerikanischen Militärcamps COP Meade in Bagdad steht er jeden Tag zwölf Stunden in glühender Hitze stramm: mit Helm, schusssicherer Weste, schwerem Munitionsgürtel und Gewehr. „Es ist heiß und gefährlich dort“, seufzt er. Dennoch ist er heilfroh, den neuen Vertrag in der Tasche zu haben. 600 Dollar verdient er im Monat.

Für einen Ugander ist das ein Vermögen. In seiner Heimat würde der ehemalige Soldat des Militärgeheimdienstes als Wachmann nur 100 Dollar monatlich bekommen – wenn überhaupt. Denn infolge der Armeereform wurden in Uganda tausende Soldaten entlassen. Die meisten von ihnen hoffen, als private Sicherheitskräfte oder Personenschützer einen Job zu finden. Kein Wunder, dass der Jubel groß war in Uganda, als jüngst US-Präsident Barack Obama den Abzug amerikanischer Truppen aus dem Irak verkündete. Wenn sich die Sicherheitslage im Irak bis dahin nicht dramatisch ändert, heißt das: Amerikanische Soldaten werden durch private Sicherheitskräfte ersetzt, welche amerikanische Ölförderanlagen, Flugplätze und Geschäftsmänner bewachen.

Auch in dieser Branche zählt vor allem der Profit: Entsprechende Dienstleister wie EODT, Blackwater und Co. suchen weltweit nach den billigsten Arbeitskräften für den Wach- und Sicherheitsdienst. Die Rechnung ist einfach: Ugander wie Onyango werden mit 600 Dollar pro Monat abgespeist, Amerikaner oder Europäer verlangen für den selben Job das Zehn- bis Zwanzigfache. Onyango runzelt bei diesem Gedanken die Stirn. Er muss zugeben, dass er das ungerecht findet. Aber immerhin, so argumentiert er, habe der Irak ihn zu einem der reichsten Männer in seinem Dorf gemacht. Stolz bestellt er das teuerste Essen auf der Speisekarte – Viktoriabarsch. Er hockt in seinem Lieblingsrestaurant und telefoniert mit seiner Freundin, seiner Mutter und seiner zweijährigen Tochter. Er hat sie seit seit über einem Jahr nicht gesehen. Erst vor drei Tagen ist er aus dem Flugzeug gestiegen. Morgen will er sich aufmachen in sein Dorf nördlich der Hauptstadt. „Ich muss nach meinem Geschäft sehen“, prahlt er. Er hat eine Bar eröffnet, zwei Häuser gebaut, 30 Rinder grasen im Garten. „Ich kaufe noch mal 20, dann reicht es als Brautpreis“, nickt er. Wenn er aus dem Irak zurückkommt, will er endlich heiraten.

So wie Onyango hoffen in Uganda zahlreiche junge Männer auf den Traumjob Irak. Eifrig robben sie jeden Morgen auf dem Fußballplatz in Kampala durch den Dreck. Sie üben Kalaschnikows nachzuladen. „Feuer!“, schreit der Ausbilder. Geoffrey Atuharwe wirft sich auf den Bauch, bringt das Gewehr in Stellung und zielt auf den Pappkartonfeind, der am Torpfosten klebt. Dann klackt es laut. Noch sind keine Patronen in der Kammer. Schießübungen mit scharfer Munition stehen erst im vierten Monat auf dem Trainingsplan. Atuharwe hatte zuvor noch nie eine Waffe in der Hand. Er wirkt noch unsicher, das Magazin klemmt. Der 26-Jährige schwitzt in der Äquatorhitze, dennoch robbt er verbissen weiter. Atuharwe hat gesehen, was seine drei Brüder als Gefängniswärter in Bagdad verdienen: Zwei Häuser und zwei Großraumtaxen haben sie gekauft. Atuharwe hingegen schuftet in einer Karaoke-Bar. Hundert Dollar bringt ihm das pro Monat. „Im Irak könnte ich sechsmal so viel verdienen“, strahlt er. Auch wenn er dafür sein Leben riskiert.

Atuharwe kann sich glücklich schätzen, dass er überhaupt einen Job hat. Die reale Arbeitslosenrate für junge Männer liegt zwischen 30 und 50 Prozent“, schätzt Mwesigwa Rukutana, Staatsminister für Arbeit und Soziales. Der Mann mit dem dicken Bauch sitzt in einem schäbigen Regierungsgebäude. Plastikblumen statt Computer schmücken seinen leeren Schreibtisch. Als „Faulpelze“ beschimpft er die Masse junger Arbeitsloser, die ihm sein Ministerleben schwermachen. Rukutana sieht sich vor einem fast unlösbaren Problem. Nach über 20 Jahren Bürgerkrieg, in denen sowohl das Militär als auch die Rebellenarmee sich überwiegend aus Minderjährigen rekrutierte, besteht die Mehrheit der Arbeitslosen aus kampferprobten jungen Männern. Die meisten haben weder Schulabschluss noch Ausbildung. Allerdings sprechen sie fließend Englisch, ein Erbe der Kolonialzeit. Sie sind die perfekten Billigsöldner für den privatisierten Krieg im Irak.

Das hat auch der Arbeits- und Sozialminister erkannt und reagiert. Im Jahr 2005 erließ die Regierung ein Gesetz über die „Auslagerung von Arbeitskräften“. Seitdem hat Rukutana die Oberaufsicht über die Verträge zwischen den Sicherheitsfirmen und den Ugandern. Stolz kramt der Minister eine Statistik hervor: Fast 12.000 ugandische Sicherheitsmänner arbeiten im Irak. Sie verdienen fünf- bis zehnmal so viel wie in ihrer Heimat. Insgesamt bringen sie 90 Millionen Dollar pro Jahr mit nach Hause. Das macht 7 Prozent des Bruttosozialprodukts. Selbst der wichtigste Exportrohstoff, Kaffee, erwirtschaftet nur 70 Millionen Dollar im Jahr. Rukutana lehnt sich in seinem Ledersessel zurück und schmunzelt: „Die Jungs sind unser lukrativstes Exportprodukt.“ Doch Rukutana hat mit sich handeln lassen. Vor einem Jahr betrug das Mindestgehalt noch 1.200 Dollar. Es wurde erst auf 900 Dollar, schließlich auf 600 Dollar gesenkt. Warum? Rukutana seufzt. Schuld sei der Wettbewerb mit den anderen afrikanischen Ländern. Kenia biete Männer sogar für 400 Dollar an. „Ich hatte die Wahl, 12.000 Jungs arbeitslos zu lassen oder ihnen einen gut bezahlten Job zu ermöglichen“, sagt er.

Fast 12.000 ugandische Sicherheitsmänner arbeiten im Irak Bis zu ihrem ersten Lohn müssen die Rekruten fast 1.000 Dollar investieren

Es gibt noch einen anderen Grund. Auch in Uganda verdienen viele am Geschäft mit dem Sicherheitsrisiko im Irak. Vor den Villen der Vermittlungsfirmen tummeln sich zwielichtige Geschäftemacher, die den Irak-Bewerbern Kredite aufschwatzen. Bis diese ihren ersten Lohn erhalten, müssen sie fast 1.000 Dollar investieren. Sie brauchen Geld für den Aids-Test und den Reisepass, die Unterbringung in Kampala und die Turnschuhe für das Training. Wie bei Onyango legt oft die ganze Familie zusammen, um einen Sohn zum Bewerbungsgespräch zu schicken.

Insgesamt liefern sich 16 in Uganda registrierte Sicherheitsfirmen einen knallharten Wettbewerb um diese Bewerber. Sie bilden die Männer aus und vermitteln sie dann an Firmen im Irak. Unter den ugandischen Managern haben sich einflussreiche Drahtzieher etabliert. Die marktführende Firma Asker Securities gehört der Schwägerin von General Salim-Saleh, dem jüngeren Bruder von Präsident Yoweri Museweni. Rukutana selbst soll mit der Firma Dreshak verbandelt sein. Doch nicht nur deswegen regt sich Moses Matsiko über den Minister auf. Der 29-Jährige war der erste Ugander im Irak. Für eine amerikanische Firma war er als Personenschützer „on the road“ unterwegs. Dabei wurde er siebenmal angeschossen. Von den Entschädigungszahlungen, die der Minister mit den Vertragspartnern ausgehandelt hatte, hat er bis heute nichts gesehen. „Ob du tot oder lebendig zurückkehrst, das juckt in Amerika niemanden“, sagt er ernüchtert. Kein Ugander kann sich einen Gerichtsprozess gegen einen amerikanischen Firmenriesen leisten. Das musste auch Matsiko feststellen. Doch letztlich findet auch er das Geschäft mit dem Irakkrieg „einfach großartig“. Er gründete seine eigene Sicherheitsfirma Watertight. Matsiko sitzt in seinem Büro im 11. Stock eines klimatisierten Bürogebäudes. Neben ihm verhandelt sein Anwalt mit dem britischen Vertragspartner Sabre über längere Arbeitszeiten der 1.200 Rekruten, die Watertight in den Irak geschickt hat. Sabre fordert: Sie sollen 12 statt 8 Stunden Schicht schieben, aber zum selben Lohn. Matsiko hat schier keine Chance. „Wenn sie in den USA entscheiden, weniger Mahlzeiten zu verteilen, dann fliegen meine Jungs zuerst aus der Kantine“, seufzt er. Er befürchtet, dass die neue US-Regierung den Geldhahn zudreht. Dann wären die Ugander die größten Verlierer.

Vielleicht muss sich auch Matsiko bald in billigeren Ländern umsehen. In Nepal ließen sich Männer für 100 Dollar anheuern, heißt es. Oder er muss an der Ausbildung seiner Rekruten sparen. Wenn sie bei Schießübungen nur noch 50 statt 100 Kugeln verballern, lässt sich auch so die Gewinnmarge erhöhen. Doch Matsiko gibt zu: „Einen Mann ohne ausreichendes Training in den Irak zu schicken, ist verantwortungslos.“ Für ugandische Firmen ist dies gleichwohl die einzige Möglichkeit, im Geschäft zu bleiben. Amerikanische und britische Sicherheitsfirmen geben die Einsparmaßnahmen an die Subunternehmer weiter. Matsiko hat sich in Afghanistan umgesehen. Ab April werden erstmals 300 Ugander in der Provinz Kandahar amerikanische Militärcamps bewachen. Und wie einst bei ihm sollen Matsikos Wachmänner „on the road“ sein. Das ist aber um ein Vielfaches gefährlicher, als im Wachturm Schicht zu schieben. Immerhin, Matsiko hat mehr Lohn aushandeln können. Seine Leute erhalten 800 Dollar pro Monat. Geld, das sie dann wie Onyango wahrscheinlich in Uganda investieren.

*Name von der Red. geändert