Wenn das Geld des Militärs lockt

Das mittelständische Flugzeugwerk in Lemwerder war einmal ein Vorzeige-Erfolg von Gerhard Schröder. Nun wird es ein Zulieferbetrieb am Tropf der EADS, die mit dem Geld des Verteidigungsministeriums gnädig Unteraufträge verteilt

von Klaus Wolschner

Als die Deutsche Aerospace AG (Dasa/München) 1994 ihr Flugzeugwerk im niedersächsischen Lemwerder bei Bremen schließen wollte, da protestierte ein ganzes Dorf: Mit den 1.200 Beschäftigten war die wirtschaftliche Basis der Region gefährdet. Der ehrgeizige Ministerpräsident Gerhard Schröder in Hannover sah das als Chance an, sich als Industriepolitiker zu profilieren. Und Schröder kam, half und siegte: Das Land übernahm den Flugzeugbetrieb und übergab ihn in saniertem Zustand mit 700 Beschäftigten an den Unternehmer Jürgen Großmann. Jahre später noch empfahl sich Schröder mit diesem Erfolg in Lemwerder als Kanzlerkandidat: Eine Region kann „Schwächen relativer Abgelegenheit“ nur kompensieren, erklärte er, wenn sie eine spezifische Innovationsstrategie hat. Voraussetzung sei, dass „vertrauensvolle Zusammenarbeit an die Stelle von Konfrontation“ zwischen Arbeit und Kapital trete.

Das ist lange her. Der Unternehmer Großmann hat in aller Stille und ohne Zusammenarbeit mit der Belegschaft seit einem Jahr um den Verkauf der Mehrheitsanteile an die DASA-Nachfolgerin, die europäische EADS (European Aeronautic Defence and Space Company), verhandelt und bekannt gegeben: Die Aircraft Services Lemwerder GmbH (ASL) wird Standort von EADS Military Aircraft. Die Mitarbeiter und die IG Metall verstehen diese überraschende Wendung nicht – und protestieren. Noch im September hatte ASL-Geschäftsführer Nicholas von Mende die Jahresbilanz für 2002 verkündet: ein kleines Plus, immerhin. Die Geschäftsleitung hatte neue Projekte bei der Flugzeugwartung vorgestellt. Der Betriebsratsvorsitzende Friedrich Neumann meint auch heute noch, die Auftragslage in Lemwerder sei doch hervorragend, die Verkaufs-Entscheidung sei nicht nachvollziehbar.

Die Erklärung des Unternehmers Großmann klingt vor diesem Hintergrund überraschend, weil sie lange zurückgreift: Der 11. September 2001 habe zu einem Einbruch im zivilen Luftverkehr geführt, erklärt Großmann, in der Folge gebe es auch einen Einbruch bei den Wartungsaufträgen, auf die sich Lemwerder spezialisiert hat. Die EADS will die Wartung ziviler Flugzeuge in Lemwerder nun ganz einstellen und eine Restbelegschaft von 210 Mitarbeitern mit der Zulieferung von Teilen für Militäraufträge (Eurofighter, Tornado) beschäftigen. Großmann wollte einmal mehr: Ende der 90er Jahre war seine ASL federführend bei dem Angebot eines überwiegend niedersächsischen Firmen-Konsortiums, das künftige NATO-Großraumflugzeug A 400 M zu bauen. Die Bundesregierung entschied im Jahre 2000 dagegen – und zu Gunsten der Airbus-Bauer. Schröders Erben in Hannover interpretierten das verständnisvoll als Versuch, die zivile Flugzeugindustrie „militärisch zu unterfüttern“ und forderten, dass wenigstens ein Teil der Aufträge für den Bau des A 400 M an mittelständische niedersächsische Unternehmen gehen solle.

Der EADS-Chef Rainer Hertrich sagte Niedersachsens Ministerpräsidenten Sigmar Gabriel eine Beteiligung der ASL am Bau des neuen Airbus-Militärtransportflugzeuges zu, von 30 bis 50 Millionen Mark Auftragsvolumen berichtete Gabriel.

Aber so richtig konkret wurde der Anteil der ASL nie. Bis dann im Herbst 2002 Großmann den EADS-Chef Hertrich auf die mögliche Übernahme von Lemwerder ansprach. Als mittelständisches Unternehmen habe die ASL keine Überlebenschance gehabt, erklärt Großmann heute nach Abschluss der Gespräche. Und Hertrich seinerseits bestätigt, „dass der Umbau von Lemwerder zu einem militärischen Standort nur dann Sinn macht, wenn wir gemeinsam mit allen Beteiligten ein wirtschaftlich vernünftiges Standort-Konzept erarbeiten können“. Das bedeutet: Die EADS hat das Sagen, und die Politik muss mitziehen. Mit der Übernahme des Werkes Lemwerder ist jetzt auch der Weg frei für die Zuliefer-Aufträge der EADS.

Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Wolfram Elsner, der lange Jahre im nahen Bremen als „Konversionsbeauftragter“ den Umbau von Rüstungsbetrieben mit Förderprogrammen begleitet hat, hat das Flugzeugwerk Lemwerder immer im Blick gehabt. Richtig ärgerlich findet er, dass der niedersächsische Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP) von einem „Beitrag zur Sicherung des Luftfahrtstandortes Lemwerder“ spricht. „Der Mann hat keine Ahnung“, sagt Elsner. Dass die Landesregierung keinen Finger krumm gemacht habe, um den Verkauf an die EADS zu verhindern, sei das krasse Gegenteil von Industriepolitik und auch von Mittelstandspolitik. „Unter einem Ministerpräsidenten Schröder wäre das nicht passiert“, sagt Elsner. Für ihn steht fest: Die Rüstungsmärkte haben auf Dauer nicht die Wachstumsraten, die ein Betrieb braucht. Über Jahre hat Elsner sich mit vielen Millionen an Fördergeldern darum bemüht, die Abhängigkeit der Bremer Region von der Rüstungsproduktion zu verringern. Nun wird an verschiedenen Stellen das Rad wieder zurückgedreht, das schnelle Geld aus den Militäraufträgen lockt.

Doch ein Konzern wie die EADS wird im Zweifelsfall immer zuerst an seine eigenen Kernbetriebe denken, Lemwerder ist das letzte Glied in der Kette. Das Kapital des Lemwerder-Betriebes seien dagegen seine Ingenieure, sagt Elsner. Und die werden nun dezimiert, anstatt zusammen mit der Belegschaft nach Alternativen zu suchen – falls es stimmen sollte, dass bei der Flugzeugwartung keine ausreichenden Gewinnmargen mehr erreicht werden können. Nun soll der Flughafen Lemwerder dicht gemacht werden – wo gerade die rund um die Uhr zugängliche Landebahn (neben der direkten Anbindung an die Weser) einer der großen Pluspunkte des Werks gewesen war. Auch Betriebsrat und IG Metall kritisierten die Reduzierung auf eine reine Militär-Zulieferarbeit als „Verrat“ an der Belegschaft.

Im europäischen Spiel der EADS wird Lemwerder nur noch ein kleiner Bauer in Norddeutschland sein. Foto [M]: AP