: „Mich fasziniert die kulturelle Vielfalt“
Die grüne Bremer Europaabgeordnete Helga Trüpel über ihre Erfahrungen im europäischen Parlament
bremen taz ■ taz: Wenn in Bremen über Europa geredet wird, geht es oft um „Bürokratie“. Da soll Brüssel entscheiden, wie viele Schlammpeitzger im Hollerland schwimmen sollen.Helga Trüpel: Es geht um Gerechtigkeit und Ausgleich in einem Europa, in dem es ein Wohlstandsgefälle und große Unterschiede beim Umweltschutz gibt. Bis vor kurzem durften die Menschen in der Danziger Bucht nicht baden, weil das Wasser so verseucht war. Nach EU-Richtlinien wurden Klärwerke gebaut, jetzt ist die Buch zum Baden freigegeben. Warum kümmert sich die EU um die Wasserqualität in der Danziger Bucht? Es geht um Umwelt-Standards, das ist absolut sinnvoll. Die EU hat immer eine fortschrittlichere Umweltpolitik gemacht, das kann auch mal Bremer Schlammpeitzger schützen. Der Wirtschaftssenator beklagt sich über Umweltvorgaben – egal woher sie kommen. Wenn sich 15 Länder verständigen sollen, dann geht das nicht ohne viel Papier. Im Unterschied zu der deutschen Bürokratie ist die europäische Verwaltung aber transparent. Alles steht im Netz.
Die Umsetzung von Entscheidungen folgt den europapolitischen Debatten meist um Jahre verzögert. Was ist für die Abgeordnete Trüpel „Europa“?
Was mich in Brüssel fasziniert, ist die kulturelle Vielfalt. Ich arbeite mit Menschen aus 25 Ländern, in einer internationalen Atmosphäre mit vielen jungen, gut ausgebildeten Menschen, die mehrere Sprachen fließend sprechen und neben denen ich mich manchmal wie ein Provinz-Depp fühle. Ich habe eine 27-jährige Mitarbeiterin, eine Griechin, die ist in Berlin geboren, hat Politikwissenschaft studiert und spricht nebenbei fließend Ungarisch. Ich habe in Brüssel mit den großen Fragen zu tun – Tschetschenien, die Wahl in der Ukraine, globale Klimaschutz-Fragen– und vor allem in der Haushaltspolitik auch mit der Legion der Lobbyisten.
Was wird nach Arafats Tod aus der Palästina-Politik der EU? Es wird im November oder Dezember eine Debatte dazu geben. Die Auseinandersetzungen um die Israel-Politik sind ja bekannt, da ging es auch um Zahlungen des EU-Parlaments an die Palestinian Authority.
…die heftig umstritten waren.Das Problem ist, dass mit den EU-Geldern Schulbücher gekauft wurden, in denen Hetze gegen Israel betrieben wird. Viele wollen das nicht wahrhaben. Das finde ich nicht in Ordnung. Frankreich ist eben nicht nur ein Garant der Agrar-Subventionen, sondern immer auch sehr Arafat-freundlich gewesen. Ich fürchte, dass sich eine Mehrheit im EU-Parlament nach dem Ausgang der US-Wahlen noch mehr von der Bush-Regierung abgrenzen will.
Wie sind die neuen osteuropäischen Länder im EU-Parlament angekommen? In der grünen Fraktion haben wir nur eine Kollegin aus Riga. Die Grüne Föderation ist in den Beitrittsländern schwach. Da müssen wir auf die Beine kommen. In den anderen Fraktionen, vor allem in der konservativen EVP, gibt es viel größere ideologische Debatten über religiöse und kulturelle Unterschiede. Zu der Feststellung, dass Homosexualität Sünde sei, gab es in der polnischen Fraktion Zustimmung. Gleichzeitig denken unter den neuen Kommissaren aus den Beitrittsländern manche sehr modern und haben hervorragende internationale Erfahrung. Im Parlament gibt es traditionelle griechische Kommunisten, ganz rechts sitzt die Enkelin von Mussolini, die ganz radikale feministische Reden hält, dazwischen die harten englischen Europa-Gegner. Das passiert alles im Plenum, das ist anders als in vom Fraktionszwang geordneten deutschen Parlamenten.
Hat das Parlament gegenüber der Kommission großen Einfluss?Das Parlament hat das Letztentscheidungsrecht über den Haushalt, der im Dezember für 2005 entschieden wird. Im Haushaltsausschuss wird die Politik der nächsten Jahre vorbereitet. Natürlich haben die Nationalstaaten noch großes Gewicht, bei allen großen Fragen muss es einen Interessenausgleich geben. Aber das Parlament wird stärker. Immerhin haben wir gerade die Kandidaten für die Kommission abgelehnt und uns durchgesetzt – auf diesen Moment haben manche Abgeordnete zehn Jahre hingearbeitet. Interview: kawe