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Archiv-Artikel

Die Streik-Debütantin

Zum ersten Mal demonstrieren – für Miriam Pieschke war es am Samstag so weit, als sie gegen die Uni-Kürzungen auf die Straße ging. Der Urenkelin eines KPD-Reichstagsabgeordneten hat es gefallen

VON RUDI NOVOTNY

„Jetzt könnten die aber mal langsam hier sein, sonst kommen wir noch zu spät.“ Ungeduldig steht Miriam Pieschke vor der Russischen Botschaft Unter den Linden und schaut Richtung Brandenburger Tor. Viele Studenten und Studentinnen müssen es sein, die sich dort versammelt haben, ungefähr 4.000 werden die Zählungen später ergeben. Gleich werden sie losziehen, um gegen die Bildungspolitik des Senats zu demonstrieren. Sie aber steht immer noch hier und wartet auf zwei Freundinnen.

Zu spät kommen! Auf die erste Demo ihres Lebens. Nein, das möchte die 21-Jährige nicht. Es ist schließlich der vorläufige Höhepunkt von zwei Wochen Plakate malen, Flugblätter verteilen und Leute mobilisieren.

Miriam Pieschke ist Studentin der Politikwissenschaften im ersten Semester am Berliner Otto-Suhr-Institut. Sie, Urenkelin eines KPD-Reichstagsabgeordneten und Tochter eines Gewerkschafters, hat als Kind oft zugehört, wenn die Erwachsenen am Küchentisch diskutierten, „auch wenn ich nichts verstanden habe.“ Nach dem Abi im letzten Jahr war sie sechs Monate in Israel. In einem Kibbuz. Schon ungewöhnlich, dass die Berlinerin noch nie auf einer Demonstration war. „Irgendwie habe ich meine Prioritäten anders gesetzt“, meint sie. „Ich hatte Angst, dass ich mich verrenne. Und außerdem habe ich Demos immer so erlebt, dass da Leute rummarschieren, ihre Forderungen stellen und am Ende auseinander gehen.“

Eigentlich sei sie da reingerutscht, erklärt sie ihr jetziges Engagement für den Studentenstreik. Auf der ersten Vollversammlung am Otto-Suhr-Instituts vor zwei Wochen war das. „Am Ende wurde gefragt, wer Lust hat, was zu machen, und da habe ich mich eben gemeldet.“ Inzwischen hat sie einen Aktionstag organisiert, an unzähligen Debatten teilgenommen und ein Kilo Gewicht verloren. „Wenn man da überall mitmacht und dann nicht zur Demo geht, das wäre schon komisch.“

Langsam bewegt sich die Demonstration auf Miriam Pieschke zu. Einzelne Transparente werden sichtbar. „Ihr begrabt die Bildung. Wir graben sie wieder aus“. Der Slogan geht auf das Konto der Archäologen. „Bildung ist Zukunft“, „Nicht an der Zukunft sparen“ trifft alle.

Endlich sind auch Pieschkes Freundinnen aufgetaucht. Die drei reihen sich ein, lassen sich einfangen vom Krach der Trillerpfeifen, Topfdeckel, dem Gelächter und der Musik. Nein, ein eigenes Transparent habe sie nicht mitnehmen wollen, überschreit sie den Lärm. „Das hat eine ganz eigene Dynamik, muss die ganze Zeit straff gespannt sein, und am Ende bleiben Leute drin hängen.“

Schließlich hätte sie schon genug lernen müssen in den letzten zwei Wochen: „Ich hatte ja vorher keine Ahnung, was auf mich zu kommt“, meint sie. „Auf einmal gab es Transpis und Lautis und Fachschaftsinis. Und wenn man einen Arm hebt, dann will man auf Versammlungen was sagen, und wenn man zwei hebt, ist das ein Antrag zur Geschäftsordnung. Und wenn man was beschließen will, sagt immer jemand, dass er das mit seinem Demokratieverständnis nicht vereinbaren kann, weil wir als Gruppe nicht legitimiert seien“, meint sie. „Bei uns zu Hause lief das nie so basisdemokratisch ab, sondern eher nach Lautstärke.“ Die Demonstration zieht an der Staatsoper vorbei. Miriam Pieschke verteilt ihre restlichen Flugblätter. Das letzte streckt sie einer Rothaarigen hin: „Ich geb’ dir meins, wenn ich dafür eins von dir bekomme.“

Vorn im Demozug schreit eine Frau irgendwas von Politikern ins Megafon. Pieschke runzelt die Stirn: „Was hat sie gesagt? Naja, ich stimme sicher überein mit ihr.“ Der Zug endet vor dem Roten Rathaus. Ein Redner nach dem anderen geht ans Mikrofon und stellt Verknüpfungen zwischen „neoliberalen Einheitsparteien“ und „absurden Kürzungen“ her. Pieschke steht in der Menge und klatscht, brüllt und buht mit. „Ich weiß, dass man Haushältern nicht mit einer solchen Argumentation kommen kann, aber ich finde, dass Bildung keine Ware ist.“ Auch einen flächendeckenden NC und Studienkonten findet sie unfair. „Ich will keine Elite sein.“ Zwischendurch schimpft sie ein bisschen auf die Leute, die nach einer halben Stunde schon gehen.

Pieschke bleibt bis zum Schluss. Es ist schon dunkel, als sie langsam zurück Richtung U-Bahn schlendert. „Es war genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Und es war schön, dass wir so friedlich waren.“ Miriam strahlt. Es gebe eine echte Chance, die Forderungen der Studenten durchzusetzen: „Da sind ja auch Frauen mit Kindern mitgelaufen, und das fand ich toll. Denn das zeigt, dass wir unsern Protest in die Gesellschaft tragen.“