: Eltern horten Kitas
Die Einführung von Ganztagsschulen ist überfällig. Doch beim Umbau der Schul- und Kita-Landschaft wird zu wenig mit den Betroffenen gesprochen. Das weckt Misstrauen bei Eltern und Erzieherinnen
VON BARBARA LEITNER
Auf unseren Wunsch, die ErzieherInnen zu befragen, reagierte Reinhard Naumann (SPD), Bildungsstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, mit Ablehnung: Das bringe zu viel Unruhe! Wir meinen: Das Argument kommt uns doch bekannt vor.
Der Lieblingsplatz von Lucia (4) ist der runde Tisch am Fenster ihres Kindergartens. Dort malt sie mit ihren Freunden und schaut auf die Bäume. Sie besucht den Kindergarten in der Niebuhrstraße 59/60 in Charlottenburg – der nach den Plänen des Bezirkes geschlossen werden soll. Das sanierte Bürgerhaus scheint eine lukrative Immobilie zu sein. Die Vierjährige und weitere 200 Kinder werden sich im nächsten Sommer einen neuen Lieblingsplatz und neue Freunde suchen und mit einer neuen Erzieherin vertraut werden müssen.
„Suchen wir uns eine Kita oder werden wir vermittelt?“, fragt Liz Franzen beunruhigt. Schließlich sollen neben der Einrichtung in der Niebuhrstraße allein in Charlottenburg-Wilmersdorf 8 weitere öffentliche Kindergärten aufgegeben sowie 13 an Schulen verlagert werden. Die Mutter von Lucia befürchtet, zu einem freien Träger wechseln zu müssen. Neben der Umgewöhnung und dem längeren Weg für Lucia rechnet sie mit kürzeren Öffnungszeiten und einer doppelten Betreuungsgebühr – vermutlich 50 Euro mehr zum monatlichen Mindestsatz von 48 Euro.
Bereits 2002 hatte der Senat beschlossen, einen großen Teil seiner öffentlichen Kitaplätze an freie Träger zu übergeben und dadurch 30,7 Millionen Euro zu sparen. Wenig später wurde in der Koalitionsvereinbarung über Kinder quasi als künftiges Humankapital verhandelt. Kinder als Sparschweine?
Die Pisa-Gewinner-Länder hatten es vorgemacht: Dort gibt es keine geteilte Verantwortung zwischen Jugend- und Bildungsbehörden, eine verlässliche Ganztagsbetreuung selbstverständlich auch für die Jüngsten. Berlin wollte nachziehen. Ein Bildungsplan für den Kindergarten wurde verabschiedet. Gleichzeitig kam der Senat überein, ab dem nächsten Schuljahr schon Fünfeinhalbjährige einzuschulen, die Horte an die Schulen zu verlagern und allen Eltern eine verlässliche Grundschule anzubieten. Dabei wurde versäumt, mit den verschiedenen Beteiligten abzuklären, wie das Vorhaben konkret umgesetzt werden könne. Geschweige denn wurden Personal und Räume langfristig und konkret geplant.
„Auch wenn uns der Bildungsplan jetzt als neu, groß und schön präsentiert wird: So haben wir jahrzehntelang gearbeitet – nach einem Erziehungs- und Bildungsplan in der DDR“, erzählt Dagmar, die – wie etliche Erzieherinnen in der Niebuhrstraße – seit zehn Jahren Tag für Tag in eine Kita im Westteil der Stadt fährt. Allerdings gesteht sie auch ein, dass sie auf ihrem täglichen Weg von Pankow Stück um Stück von ihrer Strenge und dem Zwang, alles genau vorzuplanen, ablegte und immer mehr bei den Kindern ankam.
Deshalb meldete sie auch ihre eigenen Töchter alsbald vom Hort in der Ostschule ab, wie er jetzt in ganz Berlin die Regel wird. Die beiden Töchter mochten es nicht, den ganzen Tag in einem viel zu engen Raum nur mit Spielecke zu sein, wollten den Nachmittag nach der Schule für sich freier gestalten. „Wer achtet darauf, dass es den Kindern bei dieser Umgestaltung gut geht?!“, fragt die frühere DDR-Erzieherin.
BARBARA LEITNER lebt als freie Journalistin, Hörfunkautorin sowie als Coach in Berlin, Schwerpunkt: Leben mit Kindern