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Archiv-Artikel

Reich, aber unglücklich

Umgerechnet etwa 600 Millionen Euro verdient Gastgeber Australien an der Rugby-WM, das Finale jedoch verlieren die australischen Wallabies im Olympiastadion von Sydney mit 17:20 gegen England

aus Sydney MICHAEL LENZ

Kurz vor Schluss drohte das Spektakel des Rugby World Cups noch in die Niederungen der konstitutionellen Realität Australiens abzustürzen. „Zu wem wird Prinz Harry halten“, fragten vor dem Finale zwischen England und Australien argwöhnisch australische Zeitungen. Harrys Oma Elisabeth ist Königin von England und in dieser Funktion auch Staatsoberhaupt von Australien! „Wenn die Königin von Australien nicht die Wallabies anfeuern kann, ist sie für uns bedeutungslos“, donnerte Allison Henry, Chefin der „Australischen Republikbewegung“. Der britische Prinz Harry war einer von 82.957 Zuschauern in Sydneys Olympiastadion, die am Samstag miterlebten, wie England zum ersten Mal in der Rugby-Geschichte Weltmeister wurde und überhaupt die Webb Ellis Trophy erstmals auf die nördliche Halbkugel holte. Titelverteidiger Australien unterlag den Rot-Weißen in einem hochdramatischen Spiel bei strömendem Regen mit 17:20. Die entscheidenden Punkte in der Verlängerung erzielte Superstar Jonny Wilkinson mit einem verwandelten Dropkick.

Rugby pur boten beide Teams in den letzten zehn Minuten vor dem regulären Abpfiff: Brutal, direkt und gnadenlos kämpften die ebenbürtigen Gegner um die Krone im Rugbysport. Dann Sekunden vor Schluss Australiens umjubelter Ausgleich zum 14:14. Verlängerung. Mit dem Mut der Verzweiflung rangen die australischen Wallabies um jeden Meter. Vergebens. Mit matschverschmierten, blutbefleckten und zerfetzten Trikots, aber glücklichen Gesichtern nahmen die Mannen von Coach Clive Woodward aus den Händen des australischen Premierministers John Howard den Pokal entgegen. Die gut 40.000 aus dem fernen England für umgerechnet 3.200 Euro für Flug, Eintrittskarten und Hotel angereisten Fans – von den Australiern als „Barmy Army“, Verrückte Armee, verspottet – feierten ihre Helden frenetisch.

Der Rugby World Cup, nach den Olympischen Spielen und der Fußballweltmeisterschaft das drittgrößte Sportereignis der Welt, fand auch im fußballverrückten Deutschland großes Interesse. Das Deutsche Sportfernsehen habe bei den Übertragungen der Rugby-WM 2003 in der Spitze „bis zu 220.000 Zuschauer erreicht“, freut sich DSF-Redakteur Christian Henssel. Der World Cup werde dem Rugby in Deutschland einen Schub geben, hofft Ian Rawcliffe, Präsident des Deutschen Rugby-Verbands. Der DRV setze auf eine langfristige Entwicklungsarbeit. „Wir konzentrieren uns auf Schulen und Universitäten“, betont Rawcliffe. Dabei ist in Deutschland Rugby, das sogar in der DDR gespielt wurde, bereits seit 1872 heimisch. Heute raufen sich in über einhundert Rugbyvereinen und sogar in einer eigenen Bundesliga gut 4.000 Spielerinnen und Spieler um den „Ei“ genannten Ball.

Die Kluft zwischen den Giganten des Rugbysports wie Südafrika oder Australien und Zwergen wie Deutschland oder Argentinien ist tief. Profis gegen Amateure, Krösusse gegen Habenichtse. Während der DRV mit einem Jahresetat von 450.000 Euro auskommen muss, lassen sich die Australier ihre Wallabies umgerechnet knapp 50 Millionen Euro kosten. Im Jahr. Englands Superheld Wilkinson verdient durch Sport und Werbeverträge 2,5 Millionen Euro im Jahr, so viel, wie die Argentinier für ihr gesamtes Nationalteam, die Pumas, aufbringen können. Die Kluft etwas weniger tief werden zu lassen, hat sich der Weltverband des Rugbysports „International Rugby Board“ (IRB), der 73 Millionen Euro an dem RWC 2003 verdient hat, auf seine Fahnen geschrieben. „Wir werden einen großen Teil des Geldes benutzen, um das Rugby weltweit zu fördern und damit attraktiver zu machen“, kündigte IRB-Chef Sid Millar in Sydney an.

Wenn auch die Wallabies den Titel nicht verteidigen konnten, ist Australien trotzdem ein Gewinner des Rugby World Cup 2003. Umrechnet 600 Millionen Euro spülte nach Schätzungen von Wirtschaftsexperten der RWC in die Kassen der australischen Wirtschaft. Und wie schon bei den Olympischen Spielen vor drei Jahren in Sydney setzten die Australier ein weiteres Mal Standards in der Organisation und Durchführung eines internationalen Sportevents.

Prinz Harry im Übrigen zeigte sich unbeeindruckt von der Diskussion über seine Sympathien. Nach reichlichem Genuss der Biermarke Crown – man ist, was man trinkt – erschien Harry Windsor selbstverständlich in der Uniform der Barmy Army, dem rot-weißen Trikot des englischen Nationalteams, im Stadion. Für die Nummer drei in der Anwartschaft auf Australiens Thron waren die Wallabies nur zweite Wahl. Die Republikbewegung wird diesen Affront in der anhaltenden Debatte über Australiens Staatsform zu nutzen wissen.