: Kehraus im Wendland
Die alljährlichen Castor-Festspiele sind vorüber, der Widerstand begibt sich zur Ruh und die Castoren stehen im Zwischenlager. Polizei und Protestler loben eine insgesamt faire Auseinandersetzung, beklagen aber einige versteckte Fouls der Gegenpartei
Aus DannenbergMarco Carini
Mitfahrgelegenheit gesucht! Im Wendland hat gestern der große Aufbruch begonnen, nachdem der Castor-Transport 2004 seit 9.12 Uhr der Vergangenheit angehört. Während die aus der ganzen Republik herbeigeeilten Atomgegner ihre Abreise organisieren, begibt sich der Wendländer Widerstand zur Ruh: Die Nacht war kalt, hart und vor allem lang.
Wer immer die Blockadepunkte Langendorf und Groß Gusborn noch erreichen konnte, bevor die Polizei sie weiträumig ab-sperrte, hat hier von der Abend- bis zur Morgendämmerung auf freier Strecke ausgeharrt – oft in Schlafsäcke gehüllt und an den Nebenmenschen gekuschelt. 43 Stunden haben die Straßenblockierer samt 38 quergestellter Traktoren in Langendorf ausgeharrt, 16 Stunden jene in Groß Gusborn, bevor die Polizei in den frühen Morgenstunden beide Barrikaden räumt.
Gehen die Beamten in Langendorf vorsichtig und stets um Deeskalation bemüht mit den 400 Demonstranten um, kommen in Groß Gusborn Polizeiknüppel und immer wieder auch Reizgas zum Einsatz. Nach Berichten mehrerer Demonstranten fällt dabei ganz besonders eine Bundesgrenzschutzeinheit aus Magdeburg unangenehm auf.
Als die auf Tieflader umgesetzen Castoren kurz nach 7 Uhr den Dannenberger Verlade-bahnhof verlassen, sind beide Barrikaden geräumt: Frei aber ist die so genannte Nordroute trotzdem nicht. Fünf Bauern haben sich in der Nähe von Quickborn mithilfe von Ketten, Stahlrohren und einer Betonplatte dermaßen fest mit einem quergestellten Trecker verschmolzen, dass auch herbeigerufene Spezialeinheiten sie nicht befreien können. Wegen der Verletzungsgefahr für die Angeketteten lässt sich der Traktor jedoch auch keinen Millimeter bewegen. Nachdem die Zwangsbefreiung der Landwirte auch nach mehr als vier Stunden noch immer nicht gelungen ist, überlassen die genervten Beamten sie ihrem Schicksal: Der Castor-Transport wird über die freie Südroute abgewickelt.
Währenddessen haben rund 20 Greenpeace-Aktivisten das Zwischenlager geentert, sind auf einen Förderturm geklettert und haben hier ein Transparent mit der Aufschrift „Atommüll sicher lagern? Hier sicher nicht!“ befestigt. Der Polizei gelingt es dabei nicht, die Umweltschützer wieder auf den Boden zurückzuholen.
Mehr als all diese Aktivitäten behindert den Castor-Konvoi auf seiner finalen Straßenfahrt offenbar die eigene Technik. Erst fällt ein LKW mit Motorschaden aus, dann fressen sich bei zwei anderen Zugmaschinen die Bremsen fest. Der Konvoi wird auseinander gerissen und gerät immer wieder ins Stocken. Zwei kleinere Sitzblockaden in Splietau und Gusborn tun ein Übriges, um den Transportzeitplan noch einmal nach hinten zu verschieben.
Am Ende zollen sich beide Sei-ten Lob für eine insgesamt faire Auseinandersetzung, beklagen aber auch einige versteckte Fouls der Gegenpartei. Polizeieinsatzleiter Friedrich Niehörster lobt „den friedlichen Protest“ und die „besonnene Reaktion“ der meisten Demonstranten auf den Todesfall in Frankreich. Nur vereinzelt seien diesmal Steine, nur einmal ein einziger Molotow-Cocktail auf Seiten „kleinerer gewaltbereiter Gruppen“ zum Einsatz gekommen.
Auf Seiten der Anti-Castor-Gruppen und Umweltorganisationen werden hingegen die Schlagstockfreigabe in Groß Gusborn, der Einsatz von Wasserwerfern gegen eine Straßenblockade in Laage und die zügige Abwicklung des Trans-ports, ohne jedes Innehalten nach dem tragischen Todesfall in Frankreich, als „unangemessen“ bewertet. 16 Demonstranten seien während der Räumung verletzt worden.
Ein neunjähriges Mädchen aus dem Wendland findet für seine eingehenden Studien des merkwürdigen Wesens uniformierter Ordnungskräfte folgende Worte: „Die Polizisten sind komisch. Sie haben einen Knopf im Ohr. Und wenn aus diesem eine Stimme kommt, dann werden sie böse.“