Wie lesbisch ist Deutschland?

Deutschland, einzig‘ Homoparadies? Leider nein. Lesben werden meist übersehen. Gelten als uncool. Grund: Statt lifestyligen Optimismus zu verströmen, verharren sie in der Opferrolle. Sind sie selbst schuld an ihrem Imageproblem?

VON KATRIN RAETZ

In den Vereinigten Staaten heißen sie so: Ellen DeGeneres, Melissa Etheridge oder Martina Navratilova. Und neulich kam noch Lupe Valdez hinzu, eine spanischstämmige Demokratin. Inmitten des erzrepublikanischen Texas wurde sie zum Sheriff für Dallas und Umgebung gewählt. Frauen im Sheriffjob, als Komikerin, Rockmusikerin oder Sportlerin – na und? Besondere Idole, fast Celebrities: Sie alle verschweigen nicht, lesbisch zu sein. In Deutschland gibt es bloß Hella von Sinnen, Ulrike Folkerts und Maren Kroymann. Lesbische Politikerinnen? Unbekannt oder nur Hinterbänklerinnen.

Während im Sommer die Bild-Zeitung in rosa Lettern fragte: „Wie schwul ist Deutschland?“, interessiert sich anscheinend kein Mensch für die Frage, wie lesbisch Deutschland eigentlich ist. Alice Schwarzer hat unlängst im Editorial der Emma zu Recht nach hochrangigen lesbischen Politikerinnen gefragt und ihre Antwort gleich mitgeliefert: Der gesellschaftliche Druck auf Frauen sei eben ungleich größer als der auf (schwule) Männer.

So viel steht fest: Während sich schwule Politiker medienwirksam öffentlich outen, ob zunächst freiwillig oder nicht, ohne dabei Häme seitens der Presse befürchten zu müssen, gibt es kaum prominente lesbische Frauen. Würde eine offen lesbische Kandidatin, egal welcher Partei, mit der gleichen Sympathie rechnen können wie Ole von Beust (CDU) und Klaus Wowereit (SPD)? Beide haben beweisen können, dass es beim Wähler und bei der Wählerin keinen Makel hinterlässt, wenn man nicht wenigstens zum Schein eine Musterfamilie der traditionellen Art vorzeigen kann.

Die Bild-Zeitung griff gar die lifestyligen Vorteile des gemeinen Homosexuellen auf: Ja, ja, mit denen kann frau so schön shoppen, sie beweisen mehr Geschmack und Stil, interessieren sich für Kunst und Kultur und sind die besseren Zuhörer – echte Frauenversteher eben. „Schwul ist cool“, heißt es allerorten.

Vom Lesbischsein ist nie die Rede. Es gibt eben keine kompetenten Fachmänner, die über ihre beste lesbische Freundin Auskunft erteilen könnten: Mit Lesben kann man so toll Fußball spielen und Bier trinken gehen. Lesben haben keinen Kuschelbonus, sie sind nicht „schrill“, nicht „immer gut drauf“ und „gut aussehend“, zumindest nicht in der öffentlichen Wahrnehmung. An ihnen haftet kein gut gemeintes Klischee. Lesbisch zu sein gilt als irgendwie uncool.

Die klassische Klage von Opfern

Zu den wenigen offen lesbisch lebenden Politikerinnen zählt Sibyll Klotz, Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie lebt mit Freundin, Tochter und zwei Katern in Berlin-Kreuzberg. Ihr Coming-out löste kein so gewaltiges Medienecho wie bei Wowereit oder Westerwelle aus. „Wer nie im Schrank saß, braucht nicht mit Getöse herauszukommen“, so Klotz. Zumindest bei den Grünen nicht.

Selbst bei den homosexuellen Interessenverbänden innerhalb der politischen Parteien finden sich kaum Lesben. Besonders auffällig ist dies bei der Lesbisch-Schwulen Union (LSU). Keine einzige Frau sitzt im Vorstand oder ist als Ansprechpartnerin in den Landesverbänden vermerkt, und dies, obwohl seitens der LSU die Mitarbeit von Lesben gewünscht wird, wie der stellvertretende Bundesvorsitzende Axel M. Hochrein betont.

Auch die stellvertretende Vorsitzende der Schwusos, Sarah-June Jäckel, findet, dass Lesben im gesellschaftlichen Leben deutlich unterrepräsentiert seien. Dies sei aber weniger ein Problem von Homo- oder Heterosexualität, sondern spiegele nur das Verhältnis von Frauen in der Gesellschaft wider: „Wenn sich Frauen in der Politik engagieren, bleiben ihnen nur die klassischen Frauenressorts. Kompetenzen in Wirtschafts- oder Technologiefragen werden ihnen kaum zugesprochen.“ Eine ausreichende Erklärung? Oder ist es zu kurz gedacht – alles nur traditionell als Opfer der patriarchalen Verhältnisse zu deuten?

Akzeptanz muss man sich selbst schaffen, findet denn auch Eva Kreienkamp von den Wirtschaftsweibern e. V., dem lesbischen Pendant des Völklinger Kreises, einem Verband schwuler Führungskräfte. Gegründet wurden die Wirtschaftsweiber e. V. vor fünf Jahren. Ihr erklärtes Ziel: „Mehr Macht und Geld für Lesben“.

Kreienkamp, seit 2004 geschäftsführende Gesellschafterin der Firma FrischCo, ist eine Verfechterin der Diversity-Idee. Sowohl bei der Unternehmensführung als auch beim Umgang mit Kunden werden Alter, Geschlecht, Ethnie, sexuelle Orientierung und religiöse Glaubensrichtung berücksichtigt. Entstanden ist dieses Wirtschaftskonzept in den Achtzigerjahren in den USA. Vor dem Hintergrund einer Antidiskriminierungsgesetzgebung und zu erwartender millionenschwerer Klagen war ein Umdenken in den Unternehmen gefordert.

Amerika, du hast es längst besser: Auch, weil dort Schwule und Lesben an einem Strang ziehen. Während der Aidskrise in den Achtzigern waren die Lesben ihren schwulen Mitgeschwistern beigesprungen, hatten Positionen in der Bewegung übernommen und Solidarität bekundet. Schwule, Lesben und andere sexuell Abweichende gehen dort zusammen den langen Weg in die Mitte der Gesellschaft; der gemeinsame Nenner lautet: Queer. Die Queertheory umklammert nicht nur (nonheterosexuelle) Minderheiten und zielt in ihrem radikalen Gleichheitsansatz auf alle Mitglieder der Gesellschaft: Gleichheit statt Differenz.

Lesben wollen unter sich bleiben

In Deutschland hingegen ist der eigentlich längst überholte Differenzfeminismus aus den Siebzigerjahren immer noch populär, besonders unter Lesben: So räumt auch Antje Ferchau vom Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands Deutschlands (LSVD) ein, dass der Umgang mit Lesben von vielen als schwierig eingeschätzt wird, da diese oft einen sehr autonomen Lebensstil pflegten und sich teilweise der Zusammenarbeit – egal ob schwul oder hetero – verweigern. Während der queere Genderansatz für eine Gleichberechtigung der „konstruierten“ Geschlechter eintritt, besteht der Differenzfeminismus auf der Besonderheit der Frau an sich: und damit zugleich auf ihren Status als Opfer.

Alice Schwarzer, wichtigste Akteurin dieser Perspektive, vertritt die These, dass Kultur, Gesellschaft und Sport nicht nur von Männern dominiert werde, sondern auch von Männerliebe. Denn, so die Feministin, „der ganze Sport“ sei „ein einziger CSD!“. Seltsam nur, dass sich noch immer kein schwuler Fußballspieler geoutet hat. Und wie sieht es im Frauenfußball aus? Zwar herrscht in den Stadien keine homophobe Stimmung, ganz im Gegenteil. Aber ein gewisser Druck existiert doch: Nachdem das deutsche Frauennationalteam nicht nur Europa-, sondern auch Weltmeister wurde, wuchs die Popularität des Frauenfußballs – nicht zuletzt dank der elektronischen Medien.

Doch so erfolgreich die Frauen auch sein mögen, finanziell sind sie deutlich schlechter gestellt als ihre männlichen Kollegen. Deshalb gilt es, das Interesse der Medien für die Sponsorensuche zu nutzen. Würden diese abspringen, wenn sich Frauenfußball als „Lesbensportart“ entpuppt? Entsprechend abwehrend-vorsichtig, ja giftig gab sich Nationalcoach Tina Theune-Meyer, als sie auf das Thema angesprochen wurde.

Honorige Ehrlichkeit

Manuela Kay, Chefredakteurin des L-mag, des ersten kostenlosen Magazins für Lesben, glaubt nicht an solche defensiven Haltungen: „Erfolgreiche Vorbilder wären besonders für junge Lesben ausgesprochen wichtig.“ Und Heterosexuelle wären nicht abgeschreckt, denn Ehrlichkeit würde honoriert werden. Zudem ist Outing heutzutage ganz einfach. So unterrichtete die Bild-Zeitung ihr Publikum akkurat über die angeblichen Hochzeitspläne der olympischen Silbermedaillengewinnerin im Radsport von Athen, Judith „Stinkefinger“ Arndt, mit ihrer Lebensgefährtin Petra Rößner.

Dennoch haben Lesben in Deutschland ein Imageproblem. Anders als in den USA gelten sie als langweilig und schlecht gelaunt. Ein Vorurteil, das sie als Werbeträgerinnen disqualifiziert. Selbst die jüngere Generation der deutschen Lesben befindet sich noch immer im Transitbereich zwischen dem Opferdiskurs der Siebziger und der queeren Aufbruchstimmung der Neunziger. Allerdings zeichnet sich in den Szenen der Großstädte bereits eine Lockerung ab: So tanzen im Berliner „Café Fatal“ Schwule, Lesben und deren oft heterosexuelle FreundInnen Walzer und Foxtrott. Immer wieder sonntags eine schöne Utopie.