piwik no script img

Archiv-Artikel

Vom Trauerzug zum Polizeikessel

Sie wollten nur dem Tod des französischen Castor-Demonstranten gedenken. Der spontane Marsch von Atomkraftgegnern endete aber offenbar nicht nur mit „Schlägen und Fußtritten einzelner Beamter“

Aus Hannover Kai Schöneberg

„Bestürzt“ war auch die Polizei. Mit Krokodilstränen drückte Friedrich Niehörster, der Polizeichef des Castor-Einsatzes, sein „Mitgefühl für die Angehörigen“ des am Sonntag in Lothringen vom Castor-Zug überrollten Demonstranten aus. Etwa 160 Hannoveraner waren wirklich geschockt - und fanden sich noch am gleichen Abend zu einer spontanen Trauer-Demonstration in der Nordstadt zusammen, die Richtung Linden zog. Über den Rest der Ereignisse gehen die Meinungen zwischen Atomkraftgegnern und Ordnungshütern stark auseinander. Während die Marschierer über Einkesselung und brutale Härte der Polizisten klagen, berichtet das Lageprotokoll der Gegenseite vom „mehrfachen Aufruf zu Straftaten“ und der „Aufnahme der Personalien“.

Hannover, Limmerstraße, Sonntag 22.15 Uhr. Eigentlich wollte sich der Trauerzug gerade zerstreuen. „Ohne uns wärt ihr arbeitslos“ und „Immer mehr Paramilitär“ hatten einige Demonstranten gerufen, als sie nach ihren Angaben binnen weniger Minuten von der Polizei eingekesselt wurden. „Mehr als 30 Einsatzfahrzeuge versperrten die Fußgängerzone mit einem Polizeiaufgebot, das die Anzahl der Demonstranten ums doppelte übertraf“, erzählt einer derjenigen, die sich über das rüde Vorgehen von Freund und Helfer beschweren. „Die jungen Leute wurden eingekesselt und einzeln circa 30 Meter zur Feststellung der Personalien zum Einsatzwagen geschleppt“, sagt er weiter. Dabei sei es zu „Schlägen und Fußtritten einzelner Beamter“ gekommen, die Arbeit von Journalisten sei durch „Übergriffe absichtlich behindert worden.“

Auch ein Anwohner, der nur nach draußen gegangen war, um sich das Geschehen näher anzuschauen, geriet in die Klauen der Polizei. Als die Demonstranten im Kessel - Polizeisprech: „einschließendes Gewahrsam“ - nur noch kleinlaut „Laßt uns frei“ riefen, wurde auch der Mann samt Fahrrad „halb geschliffen, halb gehend“ zum Polizeikessel befördert. Wer die Beamten aufforderte, doch bitte in einem „angemessenen Ton zu reden“, wurde mit einem „Ich kann noch lauter brüllen!“ zurechtgestaucht. Dem Betroffenen wurde nach der Personalaufnahme ein „Hau endlich ab, sonst kriegst du Ärger!“ entgegengeschleudert. Obwohl er nur 100 Meter entfernt wohnt, wurde er daraufhin mit einem „achtsstündigen Platzverweis“ belegt, der im Umkreis von 500 Metern gelte.

Die Polizei stellt die Vorgänge des Sonntagabends völlig anders dar: Vor Ort seien „nur zehn Einsatzwagen mit 50 Leuten gewesen“, betont Sprecher Hans-Joachim Elsner. Er wisse das genau, „schließlich war ich auch vor Ort“. Nachdem der Trauerzug „zu Straftaten aufgerufen“ hätte - der Blockade des Castor-Transports - habe die Truppe von Hannovers Polizeipräsident Hans-Dieter Klosa gemäß des niedersächischen Gefahrenabwehrgesetzes die Personalien von insgesamt 115 Demonstranten aufgenommen. Die Daten seien inzwischen vernichtet worden. Elsner betont: „Ein Kessel in dem Sinn war das nicht“. Dennoch sei es „vereinzelt zu aktivem und passivem Widerstand gekommen“, erklärt der Sprecher. Und: „Wenn die Herrschaften meinen, falsch behandelt worden zu sein, obliegt es ihnen, Anzeige zu erstatten“.