: Der neue König von Deutschland
Eko Fresh ist zwanzig, Rapper. Kommt aus Mönchengladbach. Und sieht entsprechend aus. Ist türkischstämmig. Nennt sich „der deutsche Traum“. Will aus der Hochhaussiedlung ins Zentrum der „Bild“-, „Bravo“- und „Bunte“-Republik. Ist er die Zukunft des deutschen Pop?
VON CORNELIUS TITTEL
Jeanette Biedermann braucht Hilfe. Sie kriegt ihn nicht auf. Also schiebt sie ihr T-Shirt hoch, so weit, bis man den Ansatz ihrer Brüste sieht. Ein schöner, braun gebrannter Bauch. Nicht, dass man ihn noch nie gesehen hätte, auf Viva und MTV, bei „Star Search“ oder „Gute Zeiten, schlechte Zeiten.“ Doch jetzt ist er greifbar nahe und braucht Hilfe: Der Bauchnabelschmuck muss weg. Er passt nicht zum Outfit, das sie in wenigen Minuten bei MTV tragen wird. Und ehe sie zweimal „Scheißverschluss“ sagen kann, kniet eine Frau vor ihr und nestelt am selben.
Plötzlich schreit der Star; die Bildschlagzeile „Jeanette: Bauchnabelriss !“ liegt für einen kurzen Moment im Bereich des Möglichen. Dann die Entwarnung: kein Riss, kein Blut. Sie schreit vor Vergnügen, den Blick auf den Monitor in der Ecke gerichtet. „Ich hab zwar keine Ahnung von HipHop“, sagt sie, „aber Eko, den muss man einfach lieben.“
Was sie nicht weiß: dass man den schmächtigen Türken, der vor ihr zu Gast im Studio ist und gerade jetzt auf dem Bildschirm als „König von Deutschland“ posiert, durchaus hassen kann. Dass ein Lob von ihr in HipHop- Kreisen einem Todesurteil gleicht. Dass Eko Fresh früher, als er noch kein Star war, darüber rappte, wie er Jeanette „ficken“ würde, wenn er es eines Tages an die Spitze geschafft hätte. Und dass er jetzt, wo er oben ist, nur noch eines will: oben bleiben.
„I am the German Dream“ sagt das T-Shirt, das Eko auf dem Cover seiner aktuellen Single trägt. Ein Statement, das so bislang niemand in Deutschland gemacht hat. Und ein Song, wie ihn niemand je auf Deutsch präsentiert hat: „Wenn ich sag, ich bin der Beste, bin ich ehrlich zu mir“, rappt er, der sich selbst als „achtes Weltwunder“ sieht, während sein Gastsänger zur Melodie von R. Kellys „I am the greatest“ erklärt, Eko sei „der Schönste, auch wenn man’s nicht gleich sieht“, vor allem aber: „der Beste, der jemals ein Mic hielt“.
„Ich bin jung und brauche das Geld“ heißt der Song treffend, und das Geld, es kommt: drei Wochen hielt sich der 20-Jährige aus Mönchengladbach unter den Top 5 der deutschen Charts. In dieser Woche steht er auf Platz 15. Damit hat er dieses Jahr bereits den größten Hit eines vermeintlich sterbenden Genres namens „Deutsch-Rap“ gelandet.
Und wie er so dasteht in seinem Video, abwechselnd vor einer deutschen und türkischen Flagge, spindeldürr und alles andere als „der Schönste“, da wirkt er nicht wie ein Hochstapler, da wirkt er schlicht und ergreifend wie die Zukunft des deutschen Pop. Der erste türkischstämmige Künstler auf dem Weg zum deutschen Superstar. Ein Junge aus der Hochhaussiedlung – oberster Stock, anderthalb Zimmer –, der nicht über den Umweg einer Casting-Show in die Charts gelangt, der die Schule abbricht, um noch besser Rappen zu lernen, der sehr hart arbeitet und nun den Tag der Abrechnung gekommen sieht. „Ich genieße den Erfolg, ich wollte nie etwas anderes“, sagt er, und er scheint nicht der Einzige zu sein: Was für Energien er in Zukunft freisetzen könnte, wird spätestens klar, wenn man türkische Kids in Kreuzberg beim Fußballspielen schreien hört, sie seien ab jetzt die „Könige von Deutschland“.
„An meine deutschen und türkischen Freunde, es ist Zeit, wir verwirklichen Träume“, heißt es gleich zu Beginn seines Albums. Eko lebt den Traum und nennt ihn den deutschen: „Wenn ich, außer Spaß, eine Message auf meinem Album habe“, erklärt er, „dann die, dass türkische Kids an sich glauben sollen, auch wenn sie keine superverständnisvollen ‚Bio-Mamas‘ haben, die einen gleich mit sechs auf der Musikschule anmelden. Sie sollen sehen, dass man hier als normaler Junge aus der Kleinstadt etwas werden kann, dass man so aussehen darf wie ich und trotzdem bei „Top Of The Pops“ landet.“
Genau dieses „trotzdem“ scheint sein Motor zu sein, ein „trotzdem“, dass seinen deutschen Rap-Kollegen fehlt, netten Jungs aus netten Reihenhaussiedlungen, gerne auch Zahnarztsöhne, die ihm jetzt, wo er bei der Bravo-Super-Show auftritt, die Street Credibility absprechen. Die ihn hassen, weil er den Erfolg hat, den sie nie haben wollten. „Manchmal hab’ ich das Gefühl, es ist eine verkehrte Welt“, wird er hundert Autogramme später, auf dem Weg von MTV zur Bild-Zeitung sagen. „Ich komme von unten und will nach oben. Bei vielen deutschen Kids ist es umgekehrt: Die kommen von oben und wollen nach unten. Die wollen Ghetto spielen und darüber rappen, wer der Härteste ist.“
Oder aber: Sie wollen, wie Jan Delay, gar nicht erst, dass man ihre Lieder singt, sich nicht „in Köpfen befinden, zusammen mit Gedanken, die unter Einfluss vom Axel Springer Verlag entstanden“. Eko will genau das: dank seines Talents vom Rand in die Mitte gelangen, ins Zentrum der Bild-, Bravo- und Bunte-Republik. Er will, dass man seine Lieder singt. Und ist damit seinen US-Idolen wesentlich näher als jeder Möchtegern-Gangster aus dem finstersten Teil Marzahns. Ihn treibt die gleiche Dynamik an, die Puff Daddy zum Musikmogul und US-Rap und R ’n’ B zum weltweiten Exportschlager gemacht hat. Der unbedingte Wille zum Weg nach oben plus ein lautes Ja zum System, das diesen Weg ermöglicht.
„Sei ehrlich“, sagt er, „wer, wenn nicht ich, soll so was wie Puff Daddy in Deutschland machen; massentauglich sein und auf Hit produzieren. Und dass ich besser rappe als er, das muss mir auch nicht peinlich sein.“ Nichts muss ihm peinlich sein. Nicht der Gastauftritt von BMG-Boss und „Deutschland sucht den Superstar“-Juror Thomas M. Stein im Video zu „König von Deutschland“. Auch nicht die Gerüchte, sein langjähriger Förderer, der deutsche „King of Rap“ Kool Savas, habe sich angesichts seiner fortschreitenden Kommerzialisierung angewidert von ihm abgewendet. „Ich bin mit mir im Reinen.“ Sagt er.
Und der „deutsche Traum“? Hört man ihm zu, wie nett und bescheiden er sich sein weiteres Leben als Star ausmalt, wirkt dieser Traum dann doch eher wie die Bauspar-Variante des „American Dream“. Ein geregeltes Leben wünscht er sich, genug Geld für sich und seine Freundin Valezka, die auf „König von Deutschland“ den Refrain singt und gerade an ihrer Solo-Karriere strickt. Genug Geld auch für seine Mutter, die ihn alleine großgezogen hat, die seit ihrem vierzehnten Lebensjahr arbeitet und immer wollte, dass aus ihrem Sohn eines Tages etwas Besseres wird. Die ihn aufs Gymnasium geschickt hat und fassungslos mit ansehen musste, wie er die Schule schmiss, um sich nur noch auf die Musik zu konzentrieren. „Ich hab’ es geschafft, Mama guck, ich hab’ es geschafft“, beruhigt er sie nun in seinen Videos: „Das hier hab’ ich die letzten Jahre gemacht.“
Wenn sich einer dieser Tage mit stolz geschwellter Brust vor die Deutschlandfahne stellen darf, dann ist es Eko Fresh: von Mönchengladbach in die Welt, er ist jung und braucht das Geld.